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Author Topic: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...  (Read 8398 times)

Offline Silverbracy

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Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« on: 25. November 2010, 13:54:16 PM »
Mitte der 80er Jahre bekam ich meine ersten Spangen. Der Schulzahnarzt schickte mich zum Kieferorthopäden
(in meinem Fall sogar nur ein Zahnarzt mit Zusatzqualifikation).
Der machte dann, was er für richtig hielt, ohne irgendetwas zu erläutern oder irgendwie zu motivieren.
Eigentlich war die Patientenbeteiligung/Information gleich null.

Also bekam ich zuerst mal eine normale Dehnplatte für den Oberkiefer (Schweinchenrosa, wie damals üblich und
irgendwie völlig uncool). Unten hatte ich eine Platte ohne Schraube und ohne Labialbogen. Dafür mit Haken hinter den
Eckzähnen, an denen ich ein Gummi einhängen musste, daß dann wie ein Bogen über die Schneidezähne lief.
Das Problem war, daß durch den Zug des Gummis die ganze Platte hinten hochkippte und nachts eigentlich immer von
selbst rausfiel. Als das alles nichts Nennenswertes brachte, gabs einen Aktivator als Block für oben und unten.
Der Versuch damit zu sprechen und dieses Ding auch tagsüber zu tragen scheiterte.
Wenn die Zähne einmal aus der Spange raus waren (entweder oben oder unten) musste man sie erst mal wieder
"eingefädeln". Da das Ding auch nicht besonders toll passte, dauernd Druckstellen erzeugte und ich damit kaum den
Mund zubekam, boykottierte ich das Teil weitestgehend.

Ich begann mich insgeheim nach einer festen Spange zu sehnen. Die empfand ich als Option, endlich wieder ordentlich
schlafen zu können ... 

Die Optik fand ich immer schon faszinierend, die Leute die sowas trugen lispelten nicht, klapperten nicht mit
roten Spangendosen um den Hals rum, wurden nicht dauernd von den Eltern genötigt, die Klammer reinzutun, alles
schien sehr alltagstauglich und es wirkte offensichtlich - sowas wollte ich auch tragen.
Feste Spangen fand ich sinnvoll und erstrebenswert und irgendwie sogar auch erwachsener.

In den 80ern war es aber (so habe ich es jedenfalls empfunden) nicht wirklich denkbar, selbst eine feste Spange
haben zu wollen. Niemand wollte das... Schon gar nicht freiwillig...
Es gab vielleicht eine/n pro Jahrgang mit fester Spange und diese Leute wurden bedauert bis gehänselt.
Meinen insgeheimen Wunsch selbst damit rumzulaufen zu wollen habe ich so auch niemandem offenbart ...

Witzigerweise bekam ich meine eigenen Festen dann doch viel schneller als gedacht...

Meine Mutter wurde einbestellt, meine Blockadehaltung bezüglich meiner Spangen angemessen gerügt und verkündet,
daß dann wohl nur mit festsitzenden Apparaturen weiterbehandelt werden könnte, da ich selbst ja den Behandlungserfolg
gefährde ... Es wurde vermittelt wie: "Zur Strafe kriegst du jetzt eine Feste. Das hast Du nun davon !"
Ich tat angemessen betroffen und jubilierte innerlich ... Kurze Zeit später gehörte ich zum Club...

Meine Festen fand ich spannend und nicht mal unangenehm zu tragen. Ich hoffte, daß es nun endlich auch mit meiner
Behandlung vorangeht. Ich war zufrieden.

Dies endete erst, als sich alles immer länger hinzog und meine Spangen wirklich immer uncooler wurden.
Zu dem Zeitpunkt muß ich so 18 oder 19 gewesen sein und ich hatte meine Festen bis dahin mindestens
zweieinhalb eher sogar drei Jahre getragen. ganz genau weiß ich es nicht mehr, jedenfalls kam es mir endlos vor.
Irgendwann war ich dann wirklich der letzte, der immer noch feste Spangen hatte.
 
Dann wurden auch meine Spangen endlich entfernt. Es war so eine Art Auslaufen der Behandlung im beiderseitigen
Einvernehmen. Ein bisschen wie: "Du bestehst nicht auf einem korrekten Ergebnis, ich befreie dich von deiner Spange
und niemand von uns erzählt der Krankenversicherung, daß die Behandlung eigentlich eher abgebrochen, als erfolgreich
beendet wurde. Retainer gab es keine, dafür ein mäßiges Behandlungsergebnis...
Ich war froh, das es vorbei war.
Nach und nach wurde mir aber klar, das meine Behandlung insgesamt ziemlich blöd und inkompetent war, das viel mehr
möglich gewesen wäre und das es nur teilweise an mir gelegen hat, wie es dann gelaufen ist.

Deshalb war es in der folgenden Zeit auch immer schwierig für mich, mit diesem Thema irgendwie sauber abzuschließen.
Immer wenn ich jemanden mit Zahnpange gesehen habe war das Thema wieder präsent und mein eigener wieder aufgeflammter
Wunsch nochmal eine Spange zu tragen wurde wieder hochgespült. Im Laufe der Zeit habe ich mir (meist nach irgendwelchen
Erlebnissen mit Spangenträgern, die mich beeindruckt haben) selbst einige Beratungstermine bei Kieferorthopäden
besorgt, den einen oder anderen dann auch wahrgenommen, einige wieder abgesagt.

Ich habe versucht Bekannte bei dem Thema aus der Reserve zu locken. Manchmal hätte mir nur eine kleine positive
Rückmeldung gefehlt, und ich hätte es nochmal mit einer Spange versucht...
Manchmal fehlte einfach das Geld. Manchmal boten sich Spangen für mich im Job einfach nicht an ...
Dann gab es eine Freundin, die meine Idee mit 30 eine Spange zu wollen total krank fand - das ist wieder 8 Jahre
her. Die Freundin ist inzwischen ad Akta. Zur Behandlung ist es aber trotzden noch nicht gekommen.
Zwischenzeitlich versuchte ich sogar, meinen Wunsch selbst absurd zu finden, weil ihn irgendwie jeder absurd fand.
Bis ich trotzig feststellte, daß die Sache niemanden als mich wirklich etwas angeht...
Inzwischen habe ich durch verschiedene Fakes ein bisschen mehr "Seelenfrieden".   

Trotzdem Ist das ganze Thema für mich seit über 20 Jahren eine kuriose Baustelle und ich bin nicht mal sicher, ob
eine weitere reale und erfolgreiche Behandlung daran etwas ändern würde ...

Jedenfalls glaube ich sicher, das meine erste Behandlung in den 80ern einen Riesen Einfluß darauf hatte, wie ich heute so
"ticke" ... Wäre das damals anders gelaufen, wäre das Thema wohl nie so groß geworden... 

Offline Cirroc

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #1 on: 25. November 2010, 17:17:43 PM »
Danke für diesen Beitrag.
Das klingt alles nachvollziehbar und man merkt, dass du dir die Frage nach dem Warum des Öfteren gestellt hast.

Offline Silverbracy

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #2 on: 27. November 2010, 01:34:41 AM »
Natürlich stellt man sich immer wieder die Frage nach dem warum...
Irgendwann gab es dann bei mir aber den Punkt, wo ich mir gesagt habe, das es sicherlich bizarrere Vorlieben gibt und ich mich nicht für Dinge schämen sollte, die überhaupt niemandem schaden ...

Offline klammer

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #3 on: 27. November 2010, 23:29:12 PM »
Natürlich stellt man sich immer wieder die Frage nach dem warum...
Irgendwann gab es dann bei mir aber den Punkt, wo ich mir gesagt habe, das es sicherlich bizarrere Vorlieben gibt und ich mich nicht für Dinge schämen sollte, die überhaupt niemandem schaden ...

Mit dieser Einstellung ( die eigenen Bedürfnisse erfüllen - Seelenfrieden zu finden - ohne jemandem dabei Schaden zuzufügen ) befindest Du Dich m.E. auf der Zielgeraden.


Offline ulfert

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #4 on: 27. November 2010, 23:34:56 PM »
........kann ich nur bestätigen,

ulfert

Offline Silverbracy

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #5 on: 30. November 2010, 20:41:49 PM »
... Und genauso fühlt es sich für mich gerade an.

Offline hamartema

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #6 on: 09. December 2010, 12:38:22 PM »
geht mir eigentlich genauso mit den 80ern und dem nie abgeschlossenen Kapitel!
Zuletzt war es ein Kinderbuch an einem Trödelstand, der mich daran erinnerte, dass ich ja immer mal wieder ins Spinnen darüber verfalle, wie es wäre, das Thema Zahnspange noch einmal richtig zu Ende zu führen.
Lustigerweise hat mir gerade meine Prophylaxerin gesagt, ja, solche Zähne gebe es eben nur dank der Kieferorthopädie, sowas sehe man einfach. Da war sie aber die erste. Fast.

Ich hatte ab ca. 1984 erst eine zweiteilige Spange (die einzige, die richtig etwas gebracht hat und die ich in Maßen gerne getragen habe), um eine Lücke der oberen Schenidezähne zu schließen und sie vom Vorstehen zurückzuholen. Das war mit der ersten dann auch geschafft. Es kam eine einteilige, die haben in meiner Schule glaub ich damals alle Klotz genannt, gegen den Überbiss. Uns dann war mein KFO wohl mit meinem Tragen unzufrieden und es gab als "Friedensangebot" noch mal eine zweiteilige, die hieß Spornspange und entspricht der heutigen Vorschubdoppelplatte (die wohl noch ganz gelegentlich mit viereckigem Sporn statt mit zwei Schienen oder wie mans sagen soll gefertigt wird). Schon wieder eine, mit der ich nicht sprechen konnte. Das half mir gegenüber der einteiligen auch nicht.
ich war in der fünften Klasse, und dann passierte dies: Ich hatte einen Termin verpasst, und das war mir so peinlich, dass ich es meinen Eltern nicht sagen wollte. Die waren von dem Thema auch schon leicht angenervt (Eltern in den 80ern hatten ja auch noch weit seltener eine Vorstellung davon). Und so wurde es auf sich beruhen gelassen. ABer die Spange habe ich zumindest nachts und wenn ich alleine war weitergetragen, dass ich sie noch brauchte, sah ich ja.
Dann kamen aber die Eckzähne durch, und das taten sie natürlich nicht so, dass sie von Anfang an gut aussahen. Na und irgendwann habe ich mir gesagt, jetzt muss ich eben andere Seiten mit mir aufziehen und die entsprechenden Drähte richtig ordentlich drücken lassen, damit es doch noch hilft... Es kam, wie es kommen musste, der Draht brach ab, nix war mir Selbstbehandlung (ich hatte mich natürlich total als Experte gefühlt nach den Jahren bis dahin).
Und jetzt sind es immernoch und immer wieder die Eckzähne, die mich daran denken lassen, wie es wäre, wenn sie so richtig vollkommen gerade stehen würden.
Ich glaube, ich würde mich auf eine feste Spange auch immer noch nicht einlassen wollen. Übrigens hatte ich damals auch den Eindruck, dass es feste Spangen eigentlich nur zum Drohen gab. Hätte ich die statt der Spornspange gekriegt...


Quälgeist

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Re: Die 80er und die Auswirkungen bis heute ...
« Reply #7 on: 29. February 2024, 09:10:37 AM »
Hallo Silverbracy,
mir ist dies "Behandlung" auch noch "gut" in Erinnerung. Es war damals wohl überall so. Ich wurde auch vom Schulzahnarzt zum KFO geschickt. Angefangen von der Abdruckabnahme bis zum Einsetzen der OK und UK Dehnplatten war alles einfach nur schlimm. So  würde ein Arzt heutzutage niemanden mehr "abfertigen", denn der hätte binnen kürzester Zeit keine Patienten mehr. Bei diesem ganzen Theater war der Behandlungserfolg natürlich überschaubar. Ich glaube nach 3 oder 4 Jahren war es dann "erledigt"
Jetzt habe ich mir im Shop mal welche anfertigen lassen um nochmal dieses Gefühl zu erleben. Die Sicht auf die Dinge ist halt später anders.
Gruß, der Quälgeist