Mitte der 80er Jahre bekam ich meine ersten Spangen. Der Schulzahnarzt schickte mich zum Kieferorthopäden
(in meinem Fall sogar nur ein Zahnarzt mit Zusatzqualifikation).
Der machte dann, was er für richtig hielt, ohne irgendetwas zu erläutern oder irgendwie zu motivieren.
Eigentlich war die Patientenbeteiligung/Information gleich null.
Also bekam ich zuerst mal eine normale Dehnplatte für den Oberkiefer (Schweinchenrosa, wie damals üblich und
irgendwie völlig uncool). Unten hatte ich eine Platte ohne Schraube und ohne Labialbogen. Dafür mit Haken hinter den
Eckzähnen, an denen ich ein Gummi einhängen musste, daß dann wie ein Bogen über die Schneidezähne lief.
Das Problem war, daß durch den Zug des Gummis die ganze Platte hinten hochkippte und nachts eigentlich immer von
selbst rausfiel. Als das alles nichts Nennenswertes brachte, gabs einen Aktivator als Block für oben und unten.
Der Versuch damit zu sprechen und dieses Ding auch tagsüber zu tragen scheiterte.
Wenn die Zähne einmal aus der Spange raus waren (entweder oben oder unten) musste man sie erst mal wieder
"eingefädeln". Da das Ding auch nicht besonders toll passte, dauernd Druckstellen erzeugte und ich damit kaum den
Mund zubekam, boykottierte ich das Teil weitestgehend.
Ich begann mich insgeheim nach einer festen Spange zu sehnen. Die empfand ich als Option, endlich wieder ordentlich
schlafen zu können ...
Die Optik fand ich immer schon faszinierend, die Leute die sowas trugen lispelten nicht, klapperten nicht mit
roten Spangendosen um den Hals rum, wurden nicht dauernd von den Eltern genötigt, die Klammer reinzutun, alles
schien sehr alltagstauglich und es wirkte offensichtlich - sowas wollte ich auch tragen.
Feste Spangen fand ich sinnvoll und erstrebenswert und irgendwie sogar auch erwachsener.
In den 80ern war es aber (so habe ich es jedenfalls empfunden) nicht wirklich denkbar, selbst eine feste Spange
haben zu wollen. Niemand wollte das... Schon gar nicht freiwillig...
Es gab vielleicht eine/n pro Jahrgang mit fester Spange und diese Leute wurden bedauert bis gehänselt.
Meinen insgeheimen Wunsch selbst damit rumzulaufen zu wollen habe ich so auch niemandem offenbart ...
Witzigerweise bekam ich meine eigenen Festen dann doch viel schneller als gedacht...
Meine Mutter wurde einbestellt, meine Blockadehaltung bezüglich meiner Spangen angemessen gerügt und verkündet,
daß dann wohl nur mit festsitzenden Apparaturen weiterbehandelt werden könnte, da ich selbst ja den Behandlungserfolg
gefährde ... Es wurde vermittelt wie: "Zur Strafe kriegst du jetzt eine Feste. Das hast Du nun davon !"
Ich tat angemessen betroffen und jubilierte innerlich ... Kurze Zeit später gehörte ich zum Club...
Meine Festen fand ich spannend und nicht mal unangenehm zu tragen. Ich hoffte, daß es nun endlich auch mit meiner
Behandlung vorangeht. Ich war zufrieden.
Dies endete erst, als sich alles immer länger hinzog und meine Spangen wirklich immer uncooler wurden.
Zu dem Zeitpunkt muß ich so 18 oder 19 gewesen sein und ich hatte meine Festen bis dahin mindestens
zweieinhalb eher sogar drei Jahre getragen. ganz genau weiß ich es nicht mehr, jedenfalls kam es mir endlos vor.
Irgendwann war ich dann wirklich der letzte, der immer noch feste Spangen hatte.
Dann wurden auch meine Spangen endlich entfernt. Es war so eine Art Auslaufen der Behandlung im beiderseitigen
Einvernehmen. Ein bisschen wie: "Du bestehst nicht auf einem korrekten Ergebnis, ich befreie dich von deiner Spange
und niemand von uns erzählt der Krankenversicherung, daß die Behandlung eigentlich eher abgebrochen, als erfolgreich
beendet wurde. Retainer gab es keine, dafür ein mäßiges Behandlungsergebnis...
Ich war froh, das es vorbei war.
Nach und nach wurde mir aber klar, das meine Behandlung insgesamt ziemlich blöd und inkompetent war, das viel mehr
möglich gewesen wäre und das es nur teilweise an mir gelegen hat, wie es dann gelaufen ist.
Deshalb war es in der folgenden Zeit auch immer schwierig für mich, mit diesem Thema irgendwie sauber abzuschließen.
Immer wenn ich jemanden mit Zahnpange gesehen habe war das Thema wieder präsent und mein eigener wieder aufgeflammter
Wunsch nochmal eine Spange zu tragen wurde wieder hochgespült. Im Laufe der Zeit habe ich mir (meist nach irgendwelchen
Erlebnissen mit Spangenträgern, die mich beeindruckt haben) selbst einige Beratungstermine bei Kieferorthopäden
besorgt, den einen oder anderen dann auch wahrgenommen, einige wieder abgesagt.
Ich habe versucht Bekannte bei dem Thema aus der Reserve zu locken. Manchmal hätte mir nur eine kleine positive
Rückmeldung gefehlt, und ich hätte es nochmal mit einer Spange versucht...
Manchmal fehlte einfach das Geld. Manchmal boten sich Spangen für mich im Job einfach nicht an ...
Dann gab es eine Freundin, die meine Idee mit 30 eine Spange zu wollen total krank fand - das ist wieder 8 Jahre
her. Die Freundin ist inzwischen ad Akta. Zur Behandlung ist es aber trotzden noch nicht gekommen.
Zwischenzeitlich versuchte ich sogar, meinen Wunsch selbst absurd zu finden, weil ihn irgendwie jeder absurd fand.
Bis ich trotzig feststellte, daß die Sache niemanden als mich wirklich etwas angeht...
Inzwischen habe ich durch verschiedene Fakes ein bisschen mehr "Seelenfrieden".
Trotzdem Ist das ganze Thema für mich seit über 20 Jahren eine kuriose Baustelle und ich bin nicht mal sicher, ob
eine weitere reale und erfolgreiche Behandlung daran etwas ändern würde ...
Jedenfalls glaube ich sicher, das meine erste Behandlung in den 80ern einen Riesen Einfluß darauf hatte, wie ich heute so
"ticke" ... Wäre das damals anders gelaufen, wäre das Thema wohl nie so groß geworden...