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Author Topic: story - F bedeutet Headgear  (Read 11018 times)

Online silver-moon-2000

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story - F bedeutet Headgear
« on: 29. May 2022, 14:10:21 PM »
Ich veröffentliche diese Geschichte gleichzeitig im englischen Teil.

Ich habe das Gefühl, dass ich Euch eine Entschuldigung schulde. Zumindest schulde ich denjenigen eine Entschuldigung, die meine Bemerkungen in meiner anderen Geschichte "Der gebrochene Arm" gelesen haben. Dort habe ich angedeutet, dass diese Geschichte in Teilen etwas "technisch" sein werde. Diejenigen unter Euch, die sich nun Hoffnungen gemacht haben, dass diese Geschichte viel medizinisches Wissen oder ausführliche Beschreibungen von Zahnspangen enthalten könnte... Tut mir leid, aber nein. Ganz und gar nicht. Nichts dergleichen wird passieren. Ganz im Gegenteil!

Als ich "technisch" schrieb, meinte ich langweilige Erläuterungen, die meiner Meinung nach gemacht werden müssen. Jede Geschichte hat irgendwo weniger interessante Teile. Und ich bin der Meinung, dass diese Geschichte eben einen größeren Anteil an nicht sonderlich dramatischen Momenten hat.

Noch ein Hinweis: Diese Geschichte besteht aus zwei Teilen. Das Wort "Zahnspange" wird im ersten Teil nicht ein einziges Mal erwähnt! Und auch in Teil 2 wird niemandem eine Zahnspange verpasst. Es wird nur darüber geredet! Betrachtet diese Geschichte also bitte als eine Geschichte mit "etwas" Zahnspangen-Inhalt und nicht als eine Zahnspangen-Geschichte!

Das könnte durchaus die Geschichte mit dem geringsten Zahnspangen-Inhalt sein, die ich jemals geschrieben habe! Ich möchte euch nur warnen, dass diese Geschichte vielleicht nicht nach eurem Geschmack sein wird!


Nachdem Bedenken geäußert wurden, dass meine Geschichte gegen die Forums-Regeln verstößt (besonders die Regel, die das Alter der Beteiligten festlegt), habe ich Rosalynns Alter angehoben. In dem Zug habe ich natürlich ein paar Änderungen durchführen muss. Da ich allerdings absolut keine Lust habe, meine Geschichte in Teilen zu überarbeiten, sind die Änderungen (absichtlich!) sehr grob. Es gibt nun ein dreigliedriges Schulsystem, in dem der Besuch einer Universität für jeden Schüler verpflichtend ist!

Teil 1 - In der Schule

Freitag Nachmittag

Kapitel 01/13

Die Ellenbogen sind auf den Tisch vor ihr gestützt, der Kopf ist in beiden Händen verborgen. Rosalynns Blick geht direkt auf die Tischplatte. Oder durch sie hindurch. So genau weiß man das nicht. Vermutlich weiß sie es in dem Moment selber nicht.

"Hey Rosalinchen, was is' los?" Ein Stupser an der Schulter.

Die in sich Zusammengesunkene blinzelt ein paar Mal und hebt dann den Kopf. "Ach, Du bist's, Mike, hab' Dich nicht gesehen..."

"Ist ja auch schwer, wenn Du Löcher in den Tisch starrst. Was ist los? Kopf zu schwer?" Mike, Klassenkamerad und Kumpel steht neben ihr und piekst ihr unaufhörlich mit seinem spitzen Zeigefinger in die Schulter. "Was soll die Trübsal? Test versaut?"

Rosa ringt sich zu einem Grinsen durch. "Hätte besser laufen können, aber 'versaut' jetzt nicht... Und bei Dir?"

"Bin zufrieden... ist aber immer so im Mündlichen. Finde ich einfacher als Multiple-Choice... da kann ich einfach drauflos la-bern... Du, Rosy, der Bus kommt gleich, kommst Du mit?"

Rosa schüttelt den Kopf. "Meine Mutter holt mich ab. Muss auch jeden Moment kommen..."

"Na dann... mach's gut, bis Montag!" Ein weiterer Piekser in die Schulter, Rosa hebt die Hand zum Gruß und Mike ist verschwunden. Fällt ihm auch nicht schwer, schließlich sind seine Beine so lang wie sie selbst hoch ist. Naja, das ist etwas übertrieben, dennoch: Mike ist mit Abstand der Größte in ihrer Altersstufe...

Langsam sinkt die Hand, so als ob alle Kraft aus ihr entwichen wäre. Das gezwungene Lächeln verblasst. Es ist plötzlich so still.

Rosa blickt sich erstaunt in dem Zimmer um: Es kommt ihr so vor, als ob noch vor ein paar Sekunden zwei oder drei Dutzend Altersgenossen da waren, die alle durcheinander geredet hatten. Eine Kakophonie von Stimmen und Lachen, dass man seine eigenen Gedanken kaum mehr hören konnte. Und jetzt sind es gerade noch vier. Inklusive ihr selbst...

Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie nach und nach die ersten Schulgenossen von ihren Eltern abgeholt wurden und jetzt der Rest zum Schulbus verschwunden ist. Rosa war viel zu sehr in Gedanken. Oder vielleicht ist das Gegenteil wahr und ihr Kopf war viel zu leer? Keine Ahnung.

Wenn ihr überhaupt etwas im Kopf herumgegangen war, dann die Prüfung, die sie heute hatten: Der vierte von vier Teilen des Tests, der - ohne zu übertreiben - der wichtigste war, den sie in den letzten zwei oder drei Jahren geschrieben hatte. Und vermutlich wird es in den kommenden ein oder zwei Jahren auch keine Prüfung geben, die wichtiger ist.

Naja, "geschrieben" hatte sie den Test heute nicht, es war schließlich eine mündliche Prüfung, aber Ihr versteht schon, was ich meine...

Nein, "versaut" hatte sie diese Prüfung nicht, das ist wirklich nicht das richtige Wort. "Hätte besser laufen können" passt auf der anderen Seite aber auch nicht.

"Versagt" trifft es da schon viel besser. Absolut, hundertprozentig und total VERSAGT hatte sie vor einer guten Stunde.

Nur: Das muss Mike nicht wissen. LaToya und Amy auch nicht. Das muss - das soll - keiner von ihren Freunden erfahren. Und auch niemand sonst.

"Macht's gut, Leute, bis Montag", da geht die nächste. Nur noch zwei andere und sie selbst in dem großen Raum.



UPT heißt der Test, den sie heute in den Sand gesetzt hat. "University Placement Test". Wie der Name verrät, ist das der Test, der verrät, auf welche Universität man gehen kann.

Nein, so stimmt das nicht; wenn sie im UPT gefragt worden wäre, welche Funktion der UPT hat, wäre diese Antwort Null Punkte wert gewesen.

Also nochmal: In der letzten Klasse - also der letzten Klasse der High-School - müssen sich alle Schüler entscheiden, an welcher Univserität sie ihre Ausbildung fortsetzen wollen. Den meisten ist das ziemlich egal und sie nehmen die Universität, die für sie am besten erreichbar ist. In den meisten Fällen ist das eine öffentliche Universität, bei denen es keine Zugangsvoraussetzung gibt. Und somit gibt es keine Probleme beim Übergang von der High-School zur Universität.

Die meisten katholischen Universitäten und auch eine Reihe von privaten Universitäten haben jedoch Mindestanforderungen, die die zukünftigen Schüler erfüllen müssen. Mit anderen Worten: Diese Universität ennehmen nicht jeden und man muss nachweisen, dass man "gut genug" ist.

Und der Weg, das "gut genug" nachzuweisen, also zu zeigen, dass man diese Anforderungen erfüllt und somit den Zugang zu dieser Schule bekommen kann, ist der UPT. Oder genauer gesagt: Ein gutes Abschneiden in dem Test.



Rosalynn presst die Lippen aufeinander. Ihr Blick senkt sich wieder, gleitet über die bekritzelte Tischfläche, bis ihre Augen den Zettel erfassen, der da zwischen ihren Ellenbogen auf dem Tisch liegt:

Links oben, in Druckbuchstaben, ihr Name: ROSALYNN CARTER. Ja, sie heißt wie eine ehemalige First Lady; wie schön, dass Euch das aufgefallen ist... nur zu dumm, dass ihr der Name in dem Test so rein gar keine Vorteile verschafft hat...

In der Mitte des Blattes steht groß und fett: "UPT - Part 4 of 4 - Oral examination": Mündliche Prüfung als viertem und letztem Teil des Tests.

Darunter stehen Thema der Prüfung, die Namen der beiden Prüfer und ganz unten deren Unterschriften. Doch das ist jetzt uninteressant, denn Rosas Augen wandern zu der Tabelle im unteren Drittel des Blattes. Dort haben die beiden Prüfer anhand mehrerer Punkte Rosas Leistung zusammengefasst. Und dort, in der letzten Zeile der Tabelle steht "Gesamtleistung: 45%"

Und das... das ist schlecht. Schlechter als schlecht. Hundsmiserabel! Um zusätzlich Salz in ihre Wunde zu streuen, steht rechts oben auf dem Papier ihre Note: Wie man es aus Zeichentrickserien kennt, wurde dort mit einem dicken roten Stift ihr Schicksal besiegelt: "F"

"F" - "failed": Durchgefallen.

Nein, diese mit rotem Stift geschriebene Note auf dem Blatt vor ihr gilt nicht für den gesamten UPT, sondern nur für den vierten Teil. Jeder der Teile hat seine eigene Teilnote. Die werden am Schluss zusammengerechnet. Und dann zählen auch noch die Noten, die man das Jahr über geschrieben hat, irgendwie mit hinein. Das zusammen bildet eine Gesamtnote; und nur diese Gesamtnote ist am Ende wichtig.

Mit anderen Worten: Wenn also die drei anderen Teilnoten - die Rosa in den letzten Wochen geschrieben hatte - gut genug ausgefallen sind oder man das Jahr über im normalen Schulunterricht gut genug mitgearbeitet hat, kann man eine nicht-so-gute Note durchaus noch halbwegs ausgleichen.

Aber wenn man in einem Teil so komplett versagt wie sie... dann ist trotzdem alles zu spät! Und das, obwohl Rosa gar nicht mal schlechte Noten gesammelt hatte. Sie ist keine Streberin, aber doch im oberen Drittel ihres Jahrgangs gewesen. Eigentlich eine sichere Position für ein gutes Abschneiden.

Ganz besonders, wenn man bedenkt, dass man doch gerade im mündlichen Teil die Chance hat, sich auszusuchen, in welchem Fach man geprüft werden will! Natürlich hatte Rosa - wie alle anderen auch - das Fach genommen, in dem sie sich am stärksten gefühlt hatte. In ihrem Fall "Geographie". Eigentlich hätte das ihre beste Note werden können! Doch stattdessen...


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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #1 on: 30. May 2022, 18:03:44 PM »
Kapitel 02/13

"Rosalynn? Was machst Du noch hier? Solltest Du nicht schon auf dem Weg nach Hause sein?"

Der Kopf des Mädchens schnellt nach oben und ihre Augen weiten sich. Sie hatte den Lehrer nicht kommen hören.

Vor ihr steht die Person, die sie gerade am wenigsten sehen will. Eigentlich will sie zurzeit niemanden sehen, aber diesen Mann noch viel weniger: Herr Klyne, stellvertretender Schulleiter. Und auch ihr Geographielehrer und somit einer der beiden Lehrer, die sie vor einer Stunde durch die mündliche Prüfung haben rasseln lassen.

"Meine... meine Mutter holt mich ab. Sie... sie hat sich ein bisschen verspätet..." Rosa will nicht zugeben, dass sie nach dem Schock, durch die Prüfung gerauscht zu sein, total vergessen hatte, zuhause anzurufen. Das ist ihr erst viel zu spät eingefallen und deshalb wird es noch einige Minuten dauern, bis ihre Mutter da sein wird.

Erschrocken blickt sich Rosa um: Sie ist die Letzte und - abgesehen von Herrn Klyne - allein in dem großen Raum. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie schließlich auch die letzten beiden, zwei Schwestern, von ihren Eltern abgeholt worden waren. Sie hatte nicht gemerkt, wie sich die beiden Mädchen von ihr verabschiedet hatten und erstaunt waren, von Rosa keine Antwort zu erhalten. Viel zu vertieft hatte sie auf die drei roten Striche gestarrt, aus der sich ihre Note zusammensetzt: "F"

Rosa blickt erschrocken auf und sieht auf die Uhr: Verdammt, es ist schon viel später als sie gedacht hatte... "Oh... oh... müssen Sie abschließen? Soll ich gehen?" Fahrig versucht sie aufzustehen und gleichzeitig den Zettel in ihre Schultasche zu stopfen. Möglichst ohne dass der Lehrer das Papier zu Gesicht bekommt.

Das ist natürlich irrsinnig, denn genau dieser Mann hatte ja genau diesen Bogen ausgefüllt und dabei genau diese Note draufgeschrieben; Rosa kann vor ihm nichts geheim halten. Und doch will sie nicht, dass er den Schrieb sieht. Niemand soll ihn sehen.



"Bleib sitzen, Rosalynn, Du hast noch genügend Zeit!" Herr Klyne weiß nicht, wie er reagieren soll. Er ist überrascht, wie sehr das Mädchen vor ihm durch den Wind ist. Soll er sie allein lassen? Er entscheidet sich dagegen, lehnt sich an den Nachbar-Tisch, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht das Mädchen nachdenklich an: "Wie geht es Dir?"

"sch***e..." Ein trockenes Lachen folgt, als sie sein überraschtes Gesicht sieht. "Haben Sie was Anderes erwartet?"

Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort: "Ich hatte nicht erwartet, dass Du guter Dinge bist, nein, gewiss nicht. Aber... ich hatte auch nicht erwartet, dass es Dich so mitnimmt..."

"Und... und warum NICHT?" Rosa spürt einen Kloß im Hals. "Ich mein'... schauen Sie sich das an..." Vergessen ist der Wunsch, den Zettel geheim zu halten; anklagend deutet sie auf den roten Buchstaben in der oberen rechten Ecke. "Das ist... das ist...", ihr fehlen die Worte.

"Ist die Note wirklich so schlimm für Dich?" Seine Stimme klingt freundlich, beinahe sanft.

Rosa lacht, aber es ist kein erfreutes Lachen: "Das ist mein erstes 'F' seit... seit immer... Ich war noch NIE so schlecht..." Sie schüttelt ihren Kopf traurig "Verdammt!"

"Ja, das ist sicher nicht schön für Dich", beginnt er. Rosa kann gerade noch rechtzeitig an sich halten, ihm kein "Fick Dich, Du Arschloch!" an den Kopf zu werfen. Er hat keine Ahnung. Absolut keine Ahnung!

"Aber dieses eine 'F' ist doch sicher kein Weltuntergang", versucht er, sie zu trösten.

"Doch, das ist es!" fährt sie auf. "Das ist... damit kann ich..." sie kann nicht weitersprechen, der Kloß im Hals schnürt ihr die Luft ab. Sie presst die Lippen aufeinander. Eine einzelne Träne bildet sich im Augenwinkel.

Ein paar Sekunden vergehen, dann hat sie sich wieder unter Kontrolle.

"Magst Du mir erklären, was genau das Problem ist?" fragt der Lehrer sanft. Rosa schüttelt vehement ihren Kopf.

Nach einer kurzen Pause nickt Herr Klyne und steht von dem Tisch auf. "Versuche am besten, es Dir nicht zu sehr zu Herzen gehen zu lassen..." Dann geht er langsamen Schrittes zur Tür.



Eine Sekunde vergeht, dann noch eine. "Es... es wäre mir egal gewesen, wenn ich das 'F' in einem normalen Test bekommen hätte..." sie lacht hart: "Nein, natürlich wäre es mir NICHT egal gewesen... aber... Sie verstehen, was ich sagen will?" Herr Klyne bleibt stehen, dreht sich langsam um und nickt dann.

"Aber jetzt...mit... mit dem 'F' ist mein Durchschnitt zu weit gesunken", schnieft Rosa. Ihr Blick geht wieder zu dem Papier vor ihr, doch sie sieht es nicht. Ein nasser Schleier bildet sich auf ihren Augen. "Das 'F' hat meinen Schnitt versaut, ich komm' jetzt nicht mehr auf die Universität auf die ich wollte..."

"Du hast also den Test gemacht, weil Du das Ergebnis brauchst?"

Die Schülerin nickt.

Weil es ja für die öffentlichen Universitäten keine Zugangsbeschränkungen gibt, müssten theoretisch nur die Schüler, die auf eine "nicht-öffentliche" Universität wollen, diesen Test absolvieren. Und in den meisten anderen Schulen wird auch so gehandhabt.

In dieser High-School ist es jedoch üblich, dass ALLE Schüler der letzten Klasse den " University Placement Test" mitmachen. Vermutlich, damit sie - wenn sie gut genug abschneiden - jederzeit die freie Entscheidung und die Möglichkeit haben, auf eine private Universität zu gehen, selbst wenn sie das zum Zeitpunkt des Tests noch nicht wollten.

Den meisten Schülern, die in der Tat aber auf öffentliche Universitäten gehen werden, ist der Test daher ziemlich egal. Er spielt für sie keine Rolle, denn die UPT-Note geht nicht in ihren Notenspiegel ein. Der Test ist einzig und allein für die Zugangsbeschränkung wichtig.

Mike, ihr Kumpel, zum Beispiel, will auf keine private Universität und macht sich deshalb absolut keinen Kopf darum, wie er im UPT abschneidet. Er ist beinahe sogar stolz darauf, keine einzige Stunde dafür gelernt zu haben. Doch für Rosalynn ist das Ergebnis wichtig...

"Trotzdem, Rosalynn..." Herr Klyne setzt sich wieder auf den Tisch neben sie. "Ich kenne zwar Deine Noten nicht im Detail, aber Du bist eine gute Schülerin. Du solltest doch locker über die 70% kommen, oder nicht?"

"Was nützt mir das?", fährt Rosa auf. "Verraten Sie mir doch, was zum Geier ich mit 70% anfangen soll... Das nützt mir einen Scheißdreck..." Sie schaut überrascht drein, hatte selbst nicht mit ihrem Ausbruch gerechnet. "'Tschuldigung", murmelt sie dann.

Er überhört den unpassenden Tonfall geflissentlich. "Warum nicht?"

Die meisten der Universität, die überhaupt einen erfolgreichen UPT voraussetzen, haben ihre Schranken auf 70% gesetzt. Soll heißen: Wenn am Ende des UPT eine Zahl größer oder gleich 70% rauskommt, ist alles in Butter: Die Zugangsvoraussetzung ist erfüllt und der Schüler darf damit rechnen, an der Universität aufgenommen zu werden.



Nur, in Rosalynns Fall ist die Sache ein wenig anders: "Ich will nach Bedford Uni..."

Herr Klyne hebt seine Augenbrauen: "Oh!"

Sie lacht hart: "Ja, 'oh' trifft's ziemlich gut..."

Bedford Uni - oder 'The Primary University of Bedford County', wie die Schule vollständig heißt - als Elite-Universität zu bezeichnen, wäre absolut und komplett übertrieben. Weltfremd sogar. Aber die Universität ist gut. Gut genug, um rechtfertigen zu können, den Punktewert für die Zugangsvoraussetzung anzuheben, um nicht mit Bewerbungen überschwemmt zu werden.

"Welchen Schnitt braucht man für Bedford? Ich weiß es nicht auswendig..."

Rosa schnieft wieder: "80%"

"Und... wenn ich fragen darf... wo bist Du?"

Rosas Augen verschleiern, ihre Belastungsgrenze ist beinahe erreicht. "Acht... achtundsiebzig", mühsam beherrscht.

Er sieht betroffen drein: "Bist Du sicher?"

Das Mädchen nickt. "Hab's... hab's nachgerechnet... mit dem 'F' ist's zu wenig". Sie deutet auf ein zusammengeknülltes Blatt mit unzusammenhängenden, gekritzelten Formeln. Eine Träne kullert die Wange herunter.

Sie kramt in ihrem Rucksack und holt ein Taschentuch heraus. Sie sieht ihn nicht an, als sie sich die Tränen aus den Augen wischt. "'Tschuldigung... das war dumm..."

Er ignoriert ihren Gefühlsausbruch. "Du willst wirklich zur Bedford Universität? Es gibt auch viele andere gute Universitäten..."

Rosa schüttelt ihren Kopf: "Ich WILL dorthin. NUR dorthin! Wenn... wenn ich nicht dorthin komme... dann... dann kann mir die ganze High-School gestohlen bleiben..."

"Na, na, na, Rosalynn", mahnt der Lehrer, "das ist vielleicht ein wenig harsch, meinst Du nicht auch?"

Die Schülerin zuckt nur mit den Achseln. Sie hat sich wieder unter Kontrolle. Inzwischen ist sie ziemlich rot angelaufen: Vor dem Lehrer die Fassung verloren zu haben, ist megapeinlich. Sie hat nur das Glück, dass keiner ihrer Klassenkameraden diese Kernschmelze mitbekommen hat.

"Meine... meine Großmutter war dort, als es noch eine reine Mädchen-Universität war. Und meine Mutter war auch dort... Und was sie mir erzählt haben... es muss damals spitze gewesen sein. Und jetzt immer noch sein... ich WILL nach Bedford."

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #2 on: 31. May 2022, 18:54:23 PM »
Kapitel 03/13

Sie sieht ihn zum ersten Mal seit längerem direkt an "Bitte... Herr Klyne... können Sie nicht... ich mein'... kann ich nicht vielleicht..."

Er unterbricht sie resolut: "Nein, Rosalynn, das musst Du Dir aus dem Kopf schlagen! Ich weiß, dass Du das nicht hören willst und ich weiß, dass es Dir nicht gefällt, aber es ist nun einmal leider nicht möglich, dass Du den Test wiederholst. Das musst Du verstehen..."

Er ignoriert die - zugegebenermaßen vage - Andeutung, ob er nicht etwas an ihren Noten "drehen" könnte.

Die Stille lastet unangenehm auf dem Mädchen. Dann nickt sie niedergeschlagen. "Ich...", murmelt sie, "Ich hatte nur gehofft..."

Ein paar Sekunden starrt sie stumm vor sich hin, dann schüttelt sie ihren Kopf, als ob sie immer noch nicht glauben könnte, was passiert ist. Sie deutet anklagend auf den Zettel vor sich.

Es quietscht neben ihr als der Lehrer sich einen Stuhl heranzieht und sich setzt. Er schaut nicht mehr auf sie herab; man könnte beinahe sagen, sie begegnen sich nun auf Augenhöhe.

"Ich hoffe, dass Du verstehen kannst, dass wir keine andere Wahl hatten, als Dir diese Note zu geben..."

Sie blickt auf und sieht ihm ins Gesicht. Und schüttelt den Kopf.



"Darf ich?" Er seufzt und langt vorsichtig nach dem Zettel vor Rosa. Zum ersten Mal seit längerer Zeit richtet sie sich in ihrem Stuhl auf und lässt dadurch zu, dass der Lehrer sich den Bewertungsbogen nochmal ansieht.

"Was war denn vorhin los, Rosalynn? Wie haben gemerkt, dass Du Dir schwergetan hast, aber was war denn passiert?"

Sie zuckt mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht... plötzlich war alles weg. Ich hab' gar nichts mehr gewusst..." Sie lacht trocken: "Ihre erste Frage, die hat mich total durcheinander gemacht. Ich hab' total falsch verstanden, was sie von mir wollten..."

Herr Klyne und sein Co-Prüfer waren erstaunt darüber, welche Antwort sie auf eine einfache Frage bekommen hatten. Sie hatten doch extra einen "no-brainer" als Einstiegsfrage ausgesucht. Sie mussten ihre Schülerin dann darauf hingewiesen, dass sie nochmal über ihre Antwort nachdenken sollte.

"Und das hat mich noch mehr aus dem Konzept gebracht. Weil: Ich weiß ja, dass ich das Zeug weiß. Dass die Antwort falsch war, hat mich so beschäftigt, dass..." sie zuckt wieder mit den Achseln. "Und dann... dann war plötzlich alles weg und ich hab' gar nichts mehr gewusst..."

Der Lehrer nickt nachdenklich. Ein Black-Out... So etwas hatte er sich schon gedacht. Rosalynn ist keine dumme Schülerin, die mit einfachen Fragen überfordert ist. Dass sie in der Prüfung richtiggehend abgeschaltet hatte und zu manchen Fragen nicht mal ein einziges Wort rausgebracht hatte, hatte beide Prüfer überrascht.

"Und was sollten wir Deiner Meinung nach jetzt machen?"

"Lassen Sie mich doch bitte die Prüfung nochmal machen... Ich... Ich weiß doch alles. Ich weiß doch, dass..." Die Fakten und Daten sprudeln einfach nur so aus Rosalynn heraus, sie beantwortet auf einen Schlag mehrere der Fragen, zu denen sie vorhin keinen Ton gesagt hatte.

Herr Klyne muss schließlich seine Hände heben, um ihren Redefluss zu beenden. "Du hast vollkommen Recht damit, es hat alles gestimmt..." dann seufzt er, "Das macht es umso schwerer für mich, aber ich KANN Dich die Prüfung nicht wiederholen lassen."

Rosa sieht ihn bestürzt an; sie hatte gehofft, ja beinahe damit gerechnet, dass er sich erweichen lassen würde, wenn er sieht, dass sie die Sachen doch weiß. Und wenn er ihre Note nicht korrigieren kann, wäre sie ja absolut bereit, zu einem anderen Geographie-Thema gefragt zu werden. Jetzt sofort, wenn es sein muss. Oder in einem anderen Fach geprüft zu werden, oder weniger Vorbereitungs-Zeit zu bekommen. Oder zur Not den ganzen UPT nochmal zu machen...

Wenn sie es dann IMMER NOCH NICHT gewusst hätte oder die Prüfung NOCHMAL versaut hätte..., ja gut... dann... dann wäre es halt so... Wenn sie die Fragen nicht beantworten könnte, weil sie nicht genug gelernt hätte, dann hätte sie die Note verdient... Aber nur weil ihr Hirn ausgesetzt hatte... da kann sie doch nichts dafür...

"Es ist nicht fair!", murmelt sie leise.

"Es wäre nicht fair den anderen Schülern gegenüber, wenn wir Dich den Test wiederholen ließen."

Rosas Blick schnellt nach oben, was hat er da gerade gesagt?

Er wiederholt seinen Punkt nochmal: Es wäre einfach nicht fair den anderen Schülern gegenüber, wenn sie den Test wiederholen dürfte. Denn dann müsste man allen anderen Schülern ebenfalls die Möglichkeit einräumen, den Test nochmal abzulegen.

"Dann machen Sie das doch..." fährt Rosa auf, doch Herr Klyne schüttelt seinen Kopf schon, bevor sie das letzte Wort ausgesprochen hat.

"Du weißt doch sicherlich auch, dass der UPT nur einmal abgelegt werden darf... Wenn man den Test so oft wiederholen dürfte, bis man das gewünschte Resultat bekommen hat... welchen Wert hätte die Prüfung dann noch?"

"Aber ich will ja den Test nicht unendlich oft machen, sondern nur EINMAL noch!"

"Ja sicher, unter ganz besonderen Umständen könnte man vielleicht einen Schüler die Prüfung wiederholen lassen, ABER:" er hebt abwehrend die Arme, "Prüfungsangst gehört leider nicht dazu."

Einige Sekunden verstreichen, das einzige Geräusch ist das Ticken der Wanduhr.

"Denk mal drüber nach: Du warst sicher nicht die Einzige, die mit Prüfungsangst vor uns Lehrern gestanden war", beginnt er. "Es ist wirklich unglücklich gelaufen, dass es bei Dir zu so einem Aussetzer geführt hat; aber auch alle anderen hatten mit Nervosität zu kämpfen. Wir DÜRFEN einfach nicht alle, die nicht so gut abgeschnitten haben, wie sie wollen, den Test wiederholen lassen."

Herr Klyne lehnt sich ein Stück zu ihr vor: "Wenn wir jetzt DICH den Test wiederholen ließen, den anderen diese Chance aber nicht geben, glaubst Du, dass das fair wäre?"

"Nein..." muss Rosa zugeben, "aber... aber die anderen hatten keinen Black-Out!"

"Das vielleicht nicht", stimmt er zu, "aber wo sollen wir die Grenze ziehen? Sollen wir Dich wiederholen lassen, weil Du 'komplett weggetreten' warst?" Rosa nickt leicht, doch es ist keine Forderung, sondern vielmehr ein Wunsch, eine Hoffnung.

"Sollen wir einen anderen Schüler wiederholen lassen, weil er aus Nervosität die ersten Fragen nicht beantworten konnte und sich erst später wieder gefangen hat?"

Rosa zuckt mit den Schultern.

"Du hast doch sicher gemerkt, dass Kirsten eine ziemliche Erkältung hatte, nicht wahr?" Rosa nickt. "Hätten wir sie wiederholen lassen sollen?"

Rosa schaut erstaunt drein: Daran... daran hatte sie noch gar nicht gedacht! Kirsten hatte ihr Leid getan, sich gerade dann eine Sommergrippe einfangen zu müssen, wenn der Test vor der Tür steht. Mit Schnupfen, Kopfschmerzen und 'nem dicken Schädel ist es Kirsten sicher nicht leichtgefallen, sich zu konzentrieren. Rosa hätte nicht mit ihr tauschen wollen....

Und doch... und doch hatte sie nicht EIN EINZIGES Mal daran gedacht, dass auch Kirsten das "Recht" haben müsste, den Test zu einem Zeitpunkt zu wiederholen, wenn sie wieder besser in Form wäre...

Für sie war das bisher unter "Pech gehabt" gelaufen. Und, soweit sie weiß, hatte Kirsten es genauso gesehen.

Aber... auf der anderen Seite: Kirsten will auf eine öffentliche Universität, sie braucht den Test nicht...



"Was meinst Du, wie lang hat Deine Prüfung gedauert?", fragt Herr Klyne unvermittelt.

Sie sieht ihn verwundert an: "15 Minuten, oder nicht?" Blöde Frage, schließlich DAUERT die mündliche Prüfung nun einmal eine Viertelstunde.

Er schüttelt den Kopf und deutet auf den Zettel, der immer noch vor ihr auf dem Tisch liegt. Er deutet auf einen Kommentar, den sie bisher komplett überlesen hatte: "Aufgrund der sichtbaren Nervosität von Rosalynn Carter wurde die Prüfungsdauer um 10 Minuten verlängert."

Rosalynns Augen öffnen sich weit: Darum hat ihre Qual scheinbar endlos gedauert! Das hatte sie sich nicht nur eingebildet!

"Wir haben schon so viel Rücksicht auf Deine Situation genommen, wie wir konnten... aber irgendwann war einfach die Grenze erreicht, Rosalynn" der Lehrer spricht sanft, aber doch nachdrücklich zu ihr: "Wir haben Dir beinahe doppelt so viel Zeit gegeben wie den anderen, aber... es hat einfach nicht für eine andere Note gereicht. So leid es mir tut, aber wir konnten keine andere Entscheidung treffen..."

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #3 on: 01. June 2022, 17:03:58 PM »
Kapitel 04/13

Der Teenager presst die Lippen aufeinander: Alles, nur nicht nochmal vor dem Lehrer anfangen, zu plärren. "Wissen... wissen Sie, ob Bedford einen... einen Nachtest hat, für Leute, die knapp unter den 80% liegen?"

Ein letzter Strohhalm, an den sie sich klammert. Ein bleigefüllter Strohhalm. Das weiß sie selbst.

Denn es ist sonnenklar, dass es KEINEN Nachtest geben wird. Eine Universität, die es sich leisten kann, den Notenschnitt für die Zulassung um 10% anzuheben; eine Universität, die den Notenschnitt sogar anheben MUSS, um nicht von Schülern überrannt zu werden... so eine Universität wird garantiert keinen Nachtest für Leute veranstalten, die knapp unter der magischen Grenze hängen geblieben sind...

Herr Klyne muss ihr das nicht sagen, das weiß sie auch. Auch wenn Rosa hofft, dass ihr Lehrer vielleicht doch besser Bescheid weiß... Manchmal wissen Lehrer ja auch was... Doch sein Schweigen ist beredt genug.

Ihr Traum ist geplatzt.



Zugegeben: Sie hatte den Traum noch nicht allzu lange geträumt. Vor zwei Jahren war es ihr noch total egal, welche Universität sie besucht. Nein, eigentlich nicht: Sie wusste schon, wohin sie wollte: Dort, wo der Großteil ihrer Freunde hingeht, dort wollte sie auch hin.

Doch dann, als sie erfuhr, dass ihre Großmutter auf derselben Universität war wie ihre Mutter, da kam zum ersten Mal Interesse auf, vielleicht doch nicht auf die nächstgelegene Universität zu gehen.

Und nachdem sie mit beiden darüber geredet hatte... da nahm der Wunsch, auch Bedford Uni zu besuchen, langsam Gestalt an. Zugegeben, als ihre Großmutter dort war, war es noch eine reine Mädchen- Universität. Und das ist schon LANGE her. Aber ihre Oma hatte geschwärmt, wie schön es dort war. Auch ihre Mutter hatte viele gute Sachen zu berichten, die sich vielleicht so zusammenfassen lassen: "Man wird zwar gefordert, aber auch gefördert!"

Dieser Grundsatz scheint immer noch gültig zu sein. Je mehr sie über die Universität im Internet las, desto interessanter wurde es. Die bieten nämlich - im Vergleich zu einer öffentlichen Universität - jede Menge interessanter Kurse an. Sowohl im Lehrplan als auch freiwillige Extra-Kurse. Hier könnte sie sich so richtig ausleben und das lernen, was ihr Spaß macht und nicht das, was sie lernen muss, weil es so auf einem veralteten Lehrplan steht.

Erst seit einem Jahr hat sie darauf hin gearbeitet, erst vor einem Jahr hatte sie sich in den Kopf gesetzt, dass sie auf diese eine spezielle Universität will. Dennoch: Sie WOLLTE dorthin, hatte inzwischen auch fest damit gerechnet, dort aufgenommen zu werden...

Und jetzt das... Wie ein Brandeisen in das Fell eines Rindes hat sich diese Note in ihre Bewertung eingebrannt. Es reicht nicht mehr. Note zu schlecht. Traum geplatzt wie eine Seifenblase.



"Und... und wo geh' ich jetzt hin?"

Sie fährt sich durch das Haar und sieht den Lehrer an. Zum ersten Mal nicht mit einem harten Lächeln, sondern resigniert. Sie hatte die ganze Zeit gehofft, mit dem Lehrer diskutieren und noch etwas retten zu können, aber Herr Klyne hatte ihr klar gemacht, dass sie damit nicht rechnen kann.

Ein seltsames Drücken in der Magengegend. Sie hat das Gefühl, als ob ihr gleich übel werden müsse. Ohne dass es jemals wirklich soweit kommt.

"Aber... das ist nichts, mit dem Sie sich befassen müssen... sch***e!"

Eine Textnachricht: Ihre Mutter ist in fünf Minuten da. Wenigstens etwas.

Rosa packt den Zettel langsam in ihre Büchertasche und steht auf. "Ich... Herr Klyne, ich wollte..." Ein Kopfschütteln: "Meine Güte, ich bin doch sonst nicht so auf den Kopf gefallen..." Ein weiteres Seufzen. "Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben."

"Absolut kein Problem. Das habe ich gerne gemacht." Der Lehrer winkt ab und begutachtet seine Schülerin: Ja, sie wirkt gefasst. Niedergeschlagen, aber gefasst. Deutlich ruhiger als zu Beginn des Gesprächs.



Er verlässt das Zimmer vor ihr. Rosalynn blickt sich nochmal im Zimmer um. Es ist... seltsam, so ganz alleine in dem Raum zu sein. Hier hatten vor ein paar Stunden mehrere Dutzend Kinder gewartet; wurden dann einzeln von den Lehrern abgeholt, um vor einem Zweier-Triumvirat Rede und Antwort stehen zu müssen.

Guter Laune und guter Dinge hatte sie diesen Raum betreten. Nervös, aber guter Dinge war sie hinter dem Lehrer zum Prüfungszimmer hergelaufen und mit leerem Kopf und zerschmettertem Traum zurückgekehrt. Und jetzt? Jetzt liegt der Traum immer noch in Scherben aber ihr Kopf ist zumindest nicht mehr ganz so leer wie zu Beginn:

Es bringt nichts, weiter nachzugrübeln. Was geschehen ist, ist geschehen und das muss sie so akzeptieren.

Das sagt sich natürlich leicht: Es bedeutet aber selbstverständlich NICHT, dass sie so einfach aufhören kann, nachzugrübeln und sich selber Vorhaltungen zu machen. Es bedeutet ebenfalls NICHT, dass es ihr LEICHT fällt, zu akzeptieren, dass Bedford Uni ein Traum bleiben wird.

Aber sie muss es akzeptieren. Einem auf Sand gebauten Luftschloss nachzujagen, das macht keinen Sinn.

Am liebsten würde sie sich unter einen Stein verkriechen und dort bis in alle Ewigkeit bleiben. Aber das ist natürlich keine Lösung. Sie lacht trocken: Vielleicht reicht es auch, sich für ein paar Stunden unter der Bettdecke zu verkriechen, literweise Eis in sich rein zu futtern und dabei hemmungslos zu flennen?

Langsam macht sie sich auf den Weg. Ihre Mutter wird bald am Tor stehen...



"Sag mal, Rosalynn", Herr Klyne kommt zurück, mit einer Mappe in der Hand. "Wie viele Punkte hattest Du eigentlich in den anderen UPT-Teilen?"

Rosa hat keine Ahnung, warum er das fragt, doch sie antwortet: "91% im ersten, dann 75% und 83%... ich war eigentlich ziemlich zufrieden... und jetzt... naja, 45%. Warum?"

Der Lehrer nickt und scheint die Zahlenwerte mit dem zu vergleichen, was in seiner Kladde geschrieben steht. Das Mädchen bekommt große Augen, als ihr etwas auffällt: Flieder! Die Mappe, in der Herr Kyne blättert, ist fliederfarben. Aber... das würde bedeuten...

Sie weiß, dass offizielle Akten immer in fliederfarbenen Aktenheftern stecken. Und wenn er in so dem Teil blättert... dann... Ihr Hals wird länger, als sie versucht, einen Blick zu erhaschen. Doch das gelingt ihr leider nicht.

"Ich habe mir gerade mal Deine Noten angesehen..." Die Vermutung ist zur Gewissheit geworden. "Ich weiß natürlich nicht, wie Du gerechnet hast... ich kann auf die Schnelle aber nicht nachvollziehen, wie Du auf 78% kommst..."

"Wo... worauf kommen Sie denn?", Rosa hält den Atem an.

Kann es sein? Darf sie hoffen? Oder wird Herr Klyne gleich sagen: "Ich komme nämlich auf 71%, du hattest also von Anfang an keine Chance..."

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #4 on: 02. June 2022, 16:39:43 PM »
Kapitel 05/13

Doch das sagt der Lehrer nicht. Er nennt ihr auch keine andere Zahl. Er überlegt einen Moment und kommt dann auf eine Idee: "Sag mal, mit welcher Note hast Du denn in Geographie gerechnet?"

Nun, wie ich angedeutet hatte, ist es ein wenig kompliziert - oder vielleicht sollte ich es "aufwendig" nennen - die Note zu berechnen, die für die Zugangsbeschränkung wichtig ist. Es fängt schon damit an, dass der UPT nicht nur eine Einzelnote hat, sondern dass der Tests aus vier Einzelteilen besteht und somit auch vier Einzelnoten aufweist.

Doch das ist noch nicht alles. Der UPT ist nur ein Teil der Gleichung. Der zweite Teil besteht darin, dass natürlich auch die Noten, die die Schüler das Schuljahr über schreiben, mit eingerechnet werden müssen. Und was die Sache obendrein noch komplexer macht ist die Tatsache, dass nicht alle Jahresnoten gleich viel zählen, sondern dass manche wichtiger sind als andere. Dass man also beim Zusammenrechnen aufpassen muss, die Gewichtung richtig hinzubekommen.

Aber Rosalynn findet das Verfahren eigentlich gerecht. Schließlich SOLLTE es doch eine Rolle spielen, welche Noten man während des Schuljahres schreibt. Denn die Noten, die auf dem Zeugnis stehen werden, sind ja die "realen" Noten. Natürlich sollten die eine Rolle spielen bei der Frage, welche Universität die Richtige ist. EIN EINZELNER Test am Ende des Schuljahres, auch wenn er aus vier Teilen besteht, kann doch niemals so gut die Leistungen eines Schülers aufzeigen wie ein gesamtes Schuljahr...


Rosalynn hatte ja gar nicht erwartet, in der mündlichen Prüfung ein 'A' zu bekommen. Aber sie wusste, dass sie keine schlechte Note bekommen würde; zu gut hatte sie den Stoff gekannt. Vielleicht ein 'A', wahrscheinlicher ein 'B' oder schlimmstenfalls ein 'C' wäre es geworden. Zumindest dann, wenn sie keinen Blackout gehabt hätte.

Als sie das Ergebnis des dritten Testteils erfahren hatte, hatte sie sich zuhause hingesetzt um herauszufinden, welche Note sie am Ende erwarten könnte. Und sie hatte berechnet, dass sie - mit einem 'B' im mündlichen Test - einen Wert von 83% sehen sollte. Bei einem 'C' immerhin noch 82%.

Mit anderen Worten: Wenn sie heute den Test nicht in den Sand gesetzt hätte, hätte sie die 80% Hürde locker genommen... doch wegen des 'F' ist sie nun bei 78% steckengeblieben!



Sie sieht den Lehrer erstaunt an. Warum fragt er nach ihrer Jahresnote in Geographie? Ja, OK, gut, sie hatte sich entschieden, die mündliche Prüfung in Geographie abzulegen, das ist der Grund. Um es fairer zu machen, werden manche Noten nämlich höher gewichtet als andere. Und die Note in dem Fach, in dem der Schüler die mündliche Prüfung ablegt, gehört zu den wichtigsten Noten überhaupt.

Deshalb spielt ihre Zeugnisnote in dem Fach durchaus eine Rolle...

Aber das beantwortet immer noch nicht die Frage, warum Herr Klyne ihre Geographie-Note wissen will. Es sollte doch offensichtlich sein, welche Note sie bekommen hat. Das Schuljahr ist am Ende angekommen und alle Tests sind geschrieben. Auch wenn sie das Zeugnis noch nicht in der Hand hat, weiß Rosa doch genau, welche Note auf dem Zeugnisbogen stehen wird.

"'B', warum?", antwortet sie schließlich.

Eine Veränderung geht durch den Lehrer vor ihr. Seltsam: Ein Teil der Anspannung scheint aus seinem Körper zu weichen. Er lächelt sie freundlich und aufmunternd an. "Dann wird die Sache klar. Jetzt verstehe ich, wie Du auf 78% kommst. Magst Du mir einen Gefallen tun?"

Eigentlich will Rosa nur noch nach Hause, aber sie nickt: "Was denn?"

"Rechne zuhause mal Deinen UPT-Score neu aus. Aber dieses Mal... rechne mit einem 'A' in Geographie."

"Aber... aber warum 'A'? Ich war sicher, dass ich ein 'B' kriege, und..." Ihre Augen weiten sich, als sie "versteht".

"Nein, Rosalynn, nein!", wehrt der Lehrer ab. "DAS würde ich nicht machen. Sicherlich nicht. So sehr es mir leid tun würde für Dich, aber an Deinen Noten zu manipulieren, das würde ich NICHT machen!" Dann gestattet er sich ein Lächeln: "Ganz davon abgesehen, dass ich es nicht machen KÖNNTE, selbst wenn ich WOLLTE. Die Noten sind seit einer Woche eingegeben und gegengecheckt worden. Der Computer ließe mich gar nichts mehr ändern..."

"Nein, Rosalynn, rechne zuhause nochmal nach. Du wirst sehen, dass Du in Geographie auf der Kippe gestanden warst, zwischen 'A' und 'B'. DU hast dann anscheinend mit 'B' weitergerechnet." Das Mädchen nickt mit angehaltenem Atem.

"Aber schau Dir an, welche Noten Du das Jahr über in Geographie hattest: Im ersten Test hattest Du ein 'C' geschrieben, in den letzten aber durchweg 'A's... Du hast Dich deutlich verbessert und auch sonst gut mitgearbeitet... Und weil Du auf der Kippe gestanden warst, hatte mich dazu entschieden, Dir die bessere Note zu geben... Das ist alles."

Mit jedem Satz sind ihre Augen größer und größer geworden, sind jetzt groß wie Unterassen. Ihr Mund öffnet sich, doch es kommt kein Ton heraus. "Warum... warum sagt er mir das?" Rosa fährt sich nervös durchs Haar: "Er würde doch nicht so gemein sein und sagen, dass ich es neu ausrechnen soll, wenn die Note keinen Einfluss hat, oder? Das... das würde er nicht machen, oder?"



"Eigentlich darf ich Dir das nicht zeigen..." er lacht, "eigentlich darf ich Dir GAR NICHTS verraten... Ich hätte Dir das mit dem 'A' auch nicht verraten dürfen... aber schau mal hier:"

Er legt die Mappe auf den Tisch vor sich und deckt einen Großteil des Inhaltes mit seinen Händen ab. Nervös tritt Rosa heran. Zwischen seinen Händen hat er ein wenig Platz gelassen. Dort steht - noch handschriftlich eingetragen: "UPT - final score: "

Ihre Lippen zittern. Bevor Tränen ihre Augen füllen, kann sie noch lesen: "81%"



Eine Textnachricht: Vermutlich ihre Mutter, die ihr sagen will, dass sie am Schultor wartet. Doch das ist Rosalynn in dem Moment herzlich egal.

Sie kichert und schluchzt, sie lacht und heult.

Von irgendwoher wird ihr ein Taschentuch in die Hand gedrückt und eine ferne Stimme fragt: "Geht's wieder?"

Sie blinzelt sich die Tränen aus den Augen und starrt nochmal auf das Zeugnis vor ihr. Herr Klyne hat die Hände weggezogen, doch die anderen Noten interessieren das Mädchen nicht. Ihre Augen irren umher, bis sie die magischen Worte wieder findet. Sie muss... sie MUSS einfach wissen, ob sie sich nicht doch verlesen hat:

"UPT - final score: 81%"

Ein Grinsen von Ohr zu Ohr; ein verzücktes Kichern.

"Besser jetzt?"

Ein Kopfnicken, dann ein Kopfschütteln, dann eine Mischung aus Beiden: "Ja... nein...doch ja..." Sie blickt den Lehrer strahlend an und kichert wieder. "Danke..."

"ICH habe gar nichts gemacht. Das war DEINE solide Leistung im gesamten Schuljahr, die Dich 'gerettet' hat. Es ist bedauerlich, dass es durch Deinen Blackout zu keiner höheren Zahl reicht, aber die 81% sollten Dir dennoch genügen." Er faltet die Mappe zu und nimmt sie wieder in die Hand. Es ist Zeit, zu gehen.

"Nimm Dir die Sache nicht allzu sehr zu Herzen und freue Dich lieber, dass es wider Erwarten doch geklappt hat!" Er klatscht in die Hände. "Ich schlage vor, dass Du Deine Mutter nicht mehr allzu lange warten lässt..."

Sie nickt und geht schnellen Schrittes davon. Dann dreht sie sich mit rotem Kopf um und kommt zurück: "Tut mir leid... ich bin völlig durch den Wind..." Rosa grinst linkisch. "Danke nochmal. Danke für alles! Und... nehmen Sie mir das Geheule bitte nicht übel, ich bin manchmal ziemlich nahe am Wasser gebaut..." Sie lacht. Mit roten Augen, aber sie lacht.

Das klingende Smartphone erspart ihm eine Antwort: "Schatz, ich warte am Tor, wo bist Du?"

"Ich komme, Mama, ich komme schon angeflogen..." flötet das Mädchen, dreht sich um und rennt leichten Schrittes durch das inzwischen komplett verwaiste Schulhaus.

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #5 on: 03. June 2022, 16:05:26 PM »
Teil 2 - Zuhause

Freitag Abend

Kapitel 06/13

Die Heimfahrt verläuft relativ ereignislos. Natürlich wird sie von ihrer Mutter gelöchert, doch sie wehrt die meisten Fragen ab. Rosalynn kann immer noch nicht fassen, was vor ein paar Minuten passiert ist. Die Achterbahn der Gefühle, das Hoffen und Bangen und das ganze Geheule... das alles muss erst verarbeitet werden, bevor sie ihrer Mutter antworten will.

Zuhause muss sie an sich halten, um nicht schnurstracks in ihr Zimmer zu rennen. Ihre Eltern werden schnell mit einem kryptischen "Ich muss unbedingt was nachrechnen" abgespeist, dann fliegt die Kinderzimmertüre zu.

Rosa glaubt nicht, dass ihr Lehrer sie angelogen hat. Das würde er sicher nicht machen. So ein Typ ist er nicht. Sie hatte ihn eigentlich immer gut leiden können.

Herr Klyne ist noch relativ jung. Zumindest jung für einen Lehrer, da die meisten doch "alte Knacker" sind. Vielleicht weil er so jung ist, ist er auch engagierter. Seine zynischen Kollegen würden sagen, er habe noch nicht alle Träume verloren. Vielleicht ist das wahr. Vielleicht ist er noch etwas naiv und gutgläubig. Aber das macht ihn auch gutmütig, freundlich und hilfsbereit.

Welcher andere Lehrer hätte sich mit ihr hingesetzt, sich mit ihr unterhalten, sie "getröstet" und am Schluss auf diese Weise geholfen? Zugegeben, er hat nicht "viel" gemacht: Er hat keine Noten für sie "frisiert". Doch das war auch nicht nötig.

Und selbst wenn... selbst wenn Rosalynn am Schluss doch nicht auf 80% gekommen wäre... einfach dadurch, dass er "für sie da war", hatte ihr in diesem Moment geholfen. Und dafür ist sie ihm dankbar. Aber natürlich ist sie ihm noch zehntausend Mal mehr dafür dankbar, dass er ihr als Fachlehrer die bessere Note zugebilligt hatte.

Ohne das würde sie nun nicht breit grinsend an ihrem Schreibtisch sitzen und die Berechnungen neu durchführen. Stattdessen würde sie heulend unter der Bettdecke liegen.

Während des Schuljahres hatte sie ihn ganz gut leiden können; während der Prüfung und danach hatte sie ihn abgrundtief gehasst; während ihres Gesprächs hatte sie neuen Respekt vor ihm bekommen und jetzt... jetzt ist es ihr Lieblingslehrer!

Nein, sie glaubt nicht, dass er sie hinters Licht geführt hat. Es wird sicherlich schon stimmen, was auf dem Zettel stand. Er hat ihr sicher das 'A' gegeben. Aber... aber sie muss es trotzdem mit eigenen Augen sehen. Sie kann es erst dann glauben... sie hat erst dann Ruhe, wenn sie alle Rechnungen selber durchgeführt hat und am Schluss tatsächlich 81% rauskommen.



Beim Abendessen ist sie endlich bereit, die Fragen ihrer Eltern zu beantworten.

"Und, wie ist es gelaufen?", fragt der Vater.

"Bin durchgefallen", grinst Rosa und schaufelt sich einen Berg Lasagne auf ihren Teller. Sie hat seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Während sie auf die Prüfung gewartet hatte, war sie zu nervös. Nach der Prüfung hatte sie absolut keinen Nerv dafür und bis vor kurzem hat sie ja die Ergebnisse nachrechnen müssen.

Aber ja: Der Notenzettel stimmt, sie HAT 81% erreicht. Wenn sie davon ausgeht, dass sie ein 'A' in Geographie bekommen wird, dann ist ihr der Platz in Bedford Uni sicher. Und sie hat absolut keinen Grund dafür, Herrn Klynes Versprechen anzuzweifeln.

Minutenlang saß sie kichernd an ihrem Schreibtisch als die letzte Rechnung durchgeführt hatte. Möglicherweise hatten ihre Eltern auch gedacht: "Das Mädel dreht durch", als ein gellender Freudenschrei durch das Haus gedrungen war.

Mit dem 'A' anstelle des 'B' in Geographie hat es gerade so gereicht. GERADE SO! Natürlich hatte sie ihre gesamte Rechnung dann kontrollieren müssen und danach nochmal. Aber der Zahlenwert hatte sich nicht verändert: 81%. Das war verdammt knapp gewesen! Und es hatte auch nur für die 81% gereicht, weil sich ihre Geographie-Note verändert hatte. Weil dieses Fach eben so besonders stark gewichtet wird. Eine geänderte Note in JEDEM anderen Fach hätte sie nicht über die magische 80% Grenze katapultiert.

Ihr Vater lacht über ihren Scherz: Es ist klar, dass seine Tochter nicht durchgefallen ist, sonst würde sie nicht so breit grinsen.

"Doch wirklich!", nickt Rosa mit vollem Mund. "Hab' 'nen totalen Blackout gehabt und hab nicht EINE Frage beantworten können..."

Die Mutter schaut unsicher zu ihrer Tochter herüber. Das, was sie sagt passt so absolut nicht zu ihrer Stimmung.

Rosa steht auf, saust zu ihrem Zimmer zurück und legt ihren Eltern kurze Zeit später den Bewertungsbogen vor.

Die Mutter lässt entgeistert die Gabel sinken: "Oh, Schatz, das tut mir ja so furchtbar leid für mich..."

Rosa schüttelt ihren Kopf: "Danke, muss es aber nicht..."

"Und was passiert jetzt? Wie sehen Deine Noten insgesamt aus?", der Vater schaltet sich ins Gespräch ein.

"Es reicht gerade so - also wirklich um Haaresbreite - noch für Bedford Uni..." Rosalynn nickt glücklich. Naja, so glücklich man eben sein kann, wenn man die schlechteste Note der Schullaufbahn kassiert hat, es dennoch gerade so für das Weiterkommen reicht...

Dann erzählt sie ausführlich, was heute passiert ist.



Nach dem Abendessen köpfen die Erwachsenen zur Feier des Tages eine Flasche Wein. Rosalynn bekommt auch ihr Glas davon, doch bekommt sie den sauren Alkohol kaum runter. Also lassen sich die Eltern erbarmen und öffnen eine Flasche Asti für die Tochter. Von dem süßen Getränk ist sie deutlich mehr angetan.

Es ist gut, dass ein Wochenende folgt, denn das Mädchen spricht dem süßen Schaumwein gut zu. Bald merkt sie die Auswirkungen des Alkohols, wird erst lustig und dann müde.

Schließlich ist es an der Zeit, ins Bett zu gehen. Müde - und vielleicht ein wenig wacklig auf den Beinen? - tappst sie ins Badezimmer und beginnt, sich die Beißerchen zu schrubben.

Mit einem Mal ist sie hellwach, die Augen sind aufgerissen und sie beißt vor Schreck auf die Zahnbürste. Beinahe könnte man meinen, eine Spinne sei über ihr Gesicht gekrabbelt.

Das ist zwar nicht geschehen, aber viel angenehmer wird es dadurch auch nicht. Ihr ist nämlich gerade etwas Schreckliches eingefallen:

"sch***e!... NEIN! ... nein... FUCK!"

Nein, sie hat keinen Rechenfehler in ihren Formeln gefunden, 81% bleiben 81%. Es ist somit keine Zukunftsangst, die sie in den Spiegel starren lässt, sondern die Erinnerung an eine Vereinbarung, die sie vor ein paar Wochen mit ihren Eltern getroffen hatte.

Geistesabwesend putzt sie ihre Zähne fertig und schlüpft dann unter die Bettdecke. Bis sie einschläft, kreisen ihre Gedanken um zwei Dinge:

"81%"

und

"F bedeutet Headgear!"

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #6 on: 04. June 2022, 18:57:38 PM »
Samstag Morgen

Kapitel 07/13

Rosa hatte schlecht geschlafen.

Die gesamte Nacht über wälzt sie sich hin und her, knüllt das Kopfkissen zusammen, dreht sich um, streicht das Kissen wieder glatt, dreht sich zurück... Sie kann nicht schlafen. Doch langsam wird sie müder und müder. Und je schläfriger sie wird, desto entspannter wird sie. Irgendwann schläft sie ein.

Dennoch lässt sich nicht behaupten, dass sie gut geschlafen hat. Es kann dazu eigentlich nur drei Ursachen geben: Die Nachwirkungen des Alkohols, die versemmelte Prüfung oder die ominöse Verabredung mit ihren Eltern.

Nun, betrachten wir die Sache mal: Der Alkohol ist inzwischen abgebaut; die Prüfung ist zwar schlecht gelaufen, die Note reicht trotzdem noch für ihre Wunsch-High-School... zwei von drei Ursachen haben sich in Luft aufgelöst.

Solange sie nicht den Vollmond für ihren schlechten Schlaf verantwortlich machen will (und gestern war KEIN Vollmond), muss sie der Wahrheit ins Auge blicken:

Das, was sie vor ein paar Wochen so leichtfertig mit ihren Eltern ausgemacht hatte, kommt nun zurück und beißt sie in die Nase.



Müde tappst sie in die Küche. "Guten morgen, Schatz", ihre Mutter sitzt am Küchentisch und liest in der Zeitung. "Wie hast Du geschlafen?"

"Miserabel", eher mechanisch sucht sich Rosa die Zutaten für ihr allmorgendliches Müsli zusammen. Die Flocken hier, die Milch da, der Honig dort, die Rosinen daneben. Ein Apfel, der noch in Stück geschnitten werden will.

"Ist kein Wunder, so viel wie Du gestern gesoffen hast."

"Gar nicht wahr. SO VIEL war das auch nicht. 'Ne halbe Flasche Asti!"

"Siehst Du", die Mutter trinkt einen großen Schluck Kaffee. "Dafür, dass Du sonst normalerweise überhaupt keinen Alkohol trinkst, ist das schon eine Menge gewesen..."

OK, vielleicht hatte der Alkohol DOCH eine Rolle gespielt... Trotzdem: Dass ihre nächtliche Unruhe zumindest noch eine weitere Ursache hatte, verschweigt Rosa und schnippelt stattdessen lieber den Apfel in ihr Müsli.

Sie hatte schon halb befürchtet, dass sie noch am Frühstückstisch auf ihre Vereinbarung angesprochen wird, doch das geschieht nicht. Glücklicherweise! Rosa fühlt sich nämlich noch nicht wirklich bereit, mit ihren Eltern darüber zu reden.

Sie muss sich erst überlegen, wie sie damit umgehen will. Soll sie die Sache so lange es geht einfach totschweigen in der Hoffnung, dass die Verabredung so langsam aber sicher vergessen wird? Oder soll sie sich so viele Argumente wie möglich zurechtlegen, um dann die Eltern irgendwie von deren Vorhaben abbringen zu können? Oder soll sie warten, bis die Eltern sie darauf ansprechen und dann so tun, als ob es nie eine Vereinbarung gegeben hätte?

Nein, zumindest die letzte "Lösung" ist keine Lösung, denn natürlich hat es diese Vereinbarung gegeben, das ist beiden Seiten absolut klar.

Und nun habe ich oft genug das Wort "Vereinbarung" benutzt, dass es beginnt, zu nerven, wenn ich nicht bald anfange, zu erklären, was sich dahinter verbirgt. Nun denn:



Dieses eine blöde beschissene 'F'. Das hat nicht nur dafür gesorgt, dass sie gestern heulend vor ihrem Lehrer gesessen war. Es hat nicht nur dafür gesorgt, dass sie beinahe die Zugangsvoraussetzung zu ihrer Wunsch-Universität nicht geschafft hätte. Nein, es hat auch jetzt noch Auswirkungen:

Es wird - wenn Rosa es nicht verhindern kann - dafür sorgen, dass sie bald eine Außenspange tragen muss. Und das... das ist sch***e. Nicht auf die gleiche Art und Weise sch***e, als wenn sie nicht nach Bedford Uni gehen könnte. Nein, eine andere Form von "sch***e".

Dennoch: sch***e bleibt sch***e!

Egal, was sie macht: Ob sie nun im Internet surft, ob sie auf ihrer Konsole spielt oder stundenlang mit LaToya am Telefon quatscht, immer bleibt das nagende ungute Gefühl im Hinterkopf. Sie bekommt die Frage nicht wirklich vollkommen aus ihrem Hirn: "Muss ich wirklich so 'n Zaumzeug tragen?"



So nebenbei: LaToya weiß jetzt auch Bescheid, dass Rosa die letzte Prüfung nicht geschafft hat. Es ist doch ein Wunder, wie viel Ruhe eine paar Stunden in eine Sache bringen können. Gestern Nachmittag war sich Rosa sicher, niemandem davon erzählen zu wollen. Doch haben gestern Abend schon die Eltern davon erfahren, heute ihre gute Freundin... So langsam findet sich das Mädchen damit ab, dieses 'F' kassiert zu haben.

LaToya will, genau wie Rosa, auf eine Universität, bei der sie nachweisen muss, dass sie "gut genug" ist. Deswegen hatten die beiden in den letzten Wochen immer wieder mal zusammen gelernt. Allerdings reichen in dem Fall 70% aus, und so hatte sich die Freundin - anders als Rosa - nicht verrückt machen müssen.

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #7 on: 05. June 2022, 16:59:00 PM »
Samstag Abend

Kapitel 08/13

So vergeht der Mittag und der Nachmittag und schon ist es Abend. Und noch immer haben die Eltern sie nicht angesprochen. Vielleicht werden sie das auch nicht? Vielleicht warten sie, bis ihre Tochter den ersten Schritt macht?

So gut es ging, hatte Rosa die Zeit genutzt, sich Argumente zurecht zu legen, die hoffentlich dazu führen werden, dass sie dem Zaumzeug ein Schnippchen schlagen kann. OK, das ist glatt gelogen. Rosa hatte die Zeit nicht dazu genutzt, sondern ewig an ihrer Konsole gedaddelt. Schließlich ist heute der erste Tag seit längerem, an dem sie nicht mehr lernen muss. Und ein neues Spiel ist vor ein paar Wochen rausgekommen, auf das sie gewartet und auf das sie sich gefreut hatte.

Aber stundenlang zu zocken, während sie eigentlich für die letzten Prüfungen und dann den UPT lernen sollte... das wollte sie selbst nicht; ganz zu schweigen davon, dass ihre Eltern es nicht zugelassen hätten. Nun aber steht dem Spielevergnügen nichts mehr im Weg:

Das Schuljahr ist am Ende angekommen, Hausaufgaben gibt es auch keine mehr. Ein paar Tage muss sie noch in die Schule, doch dann sind Ferien. Und danach: Bedford Uni ruft.

Rosa war so versunken in dem Spiel, dass sie gar nicht wirklich merkte, wie die Zeit verging.

Nach dem Abendessen ziehen sich die Eltern ins Wohnzimmer zurück, wo sie es sich bei irgendeinem Netflix-Streifen gemütlich machen. Rosa verkriecht sich wieder in ihrem Zimmer, liegt auf dem Bett und zockt weiter. Doch wirklich konzentrieren kann sie sich jetzt nicht.



Die Eltern blicken erstaunt auf, als sich die Wohnzimmertüre öffnet und ihr Töchterchen hereinkommt. "Habt Ihr noch ein bisschen Platz auf der Couch?" Das ist eine ziemlich rhetorische Frage, denn das Sofa ist riesig und besteht aus drei verschiedenen Teilen: Im Sessel sitzt der Vater, auf dem großen Sofa liegt die Mutter. Und das kleine Sofa ist...

"...für Dich reserviert..." die Mutter deutet auf die freie Sitzfläche.

"Was verschafft uns die Ehre?" Der Vater ist neugierig; es kommt inzwischen selten genug vor, dass sie zu dritt zusammensitzen.

Rosa zuckt mit den Schultern: "Ach, weiß auch nicht. Mir war jetzt nicht so nach alleine sein..."

"Kann ich verstehen", nickt die Mutter. "Willst Du eine Decke?"

Nein, Rosa braucht keine Decke, es ist auch so warm genug und ihr steht momentan nicht der Sinn nach "Reinkuscheln".

Ihre Eltern schauen irgendeinen historischen Schinken. Keine Ahnung, worum es geht. Kein Wunder, sie hat ja die erste Stunde oder so verpasst. Doch selbst wenn sie von Anfang an dabei gewesen wäre, der Film hätte sie nicht gefesselt. Erstens ist er schnarch-langweilig und zweitens sind ihre Gedanken schon von etwas anderem voreingenommen.

Rosa wartet eine passende Gelegenheit ab, das leidige Thema anzuschneiden. Doch die kommt und kommt nicht. Stattdessen spielt sie auf ihrem Smartphone, folgt dem Film ein paar Minuten, verschwindet in ihrem Zimmer, kommt zurück, folgt dem Film, spielt auf dem Handy...

Endlich, als ihr Vater aufsteht und den Raum verlässt, scheint eine passende Gelegenheit gefunden zu sein. "Mama...", fragt sie vorsichtig, leise und beinahe unsicher.

Die Augen der Mutter richten sich auf sie "Was gibt's, mein Schatz?"

"Ich... können wir... ach, nichts, ist schon OK..."

Ein mitfühlendes Lächeln auf dem Gesicht der Mutter: "Was ist los? Willst Du es mir nicht sagen?"

"Ich... können wir vielleicht über... unsere Vereinbarung reden?"

"Ach, DAHER weht der Wind..." die Mutter lächelt verstehend. "Papa und ich hatten uns gedacht, dass Du nach dem 'F' einfach moralischen Beistand brauchst." Sie nickt verstehend: "Das stimmt vermutlich auch, aber DAS macht jetzt so viel mehr Sinn..."



Verdammt, der Vater ist schneller zurückgekommen als gedacht, mit einem kühlen Bier in der Hand. "Worum geht's?"

"Unser Töchterchen will mit uns darüber reden, was in den nächsten Tagen passieren soll... mit der Belohnung für den Test."

Der Vater nickt, setzt sich zurück in seinen Sessel: "Na, dann schieß mal los...", an seine Tochter gewandt.

"Ähhh..." Rosa weiß nicht, was sie darauf erwidern soll.

Das ist eine verdammt blöde Situation, in der sie sich wiederfindet. Sie hatte sich die Sache so ganz anders vorgestellt. In ihren Gedanken war sie viel selbstsicherer und hatte sich viel besser durchsetzen können. Aber jetzt...

Der Vater sitzt links von ihr im Sessel, die Mutter liegt rechts von ihr auf dem Sofa. Und sie selbst mittendrin, auf der Kante "ihrer" Couch sitzend, blickt von einem Elternteil zum anderen.

"Ähhh..." sie leckt sich nervös über die Lippen... "Ich hab' gedacht, ob wir... nicht vielleicht einen Deal machen könnten..."

"Und der wäre?"

"Können... können wir nicht einfach alles vergessen?" Oh, ja... sehr subtil und wortgewandt... und so überzeugend... Meine Fresse!

"Nein." Der Vater schüttelt den Kopf. Sein Tonfall ist sachlich. Nicht überrascht und keinesfalls erbost. Eher beinahe erheitert. Aber auch sicher. Sehr sicher. Für ihn stellt sich die Frage überhaupt nicht.

"Wir hatten doch alles ausführlich beredet." setzt die Mutter beinahe sanft dazu. "Weißt Du nicht mehr? Es war doch sogar DEINE Idee gewesen... Wir hatten doch am Ende eine Vereinbarung getroffen! Und DU warst einverstanden..."

"Ja... aber... aber doch nur, weil..."

"Weil Du nicht dachtest, so schlecht abzuschneiden, nicht wahr?" beendet der Vater ihren angefangenen Satz.

Beinahe verzweifelt nickt Rosa.

"Und jetzt? Sollen wir alles über den Haufen schmeißen, nur weil bei Dir etwas nicht so gelaufen ist, wie Du Dir das gedacht hast?"

"Ich hab' doch gar nicht gesagt, dass wir 'alles über den Haufen schmeißen' sollen" echauffiert sich das Mädchen.

"Was dann? Das hatte aber verdammt danach geklungen...", die Mütter lächelt fein. "'Können wir nicht einfach alles vergessen' klingt für mich definitiv nach 'alles über den Haufen schmeißen'". Sie wendet sich an ihren Ehemann: "Findest Du nicht auch?"

Der nickt. "Was für einen Deal hattest Du Dir denn vorgestellt, Rosa?"

Verdammt... verdammt, das läuft alles so viel schlechter als gedacht. "Ich... ich weiß auch nicht so wirklich..."

In den nächsten paar Sekunden ist der Fernseher das einzige Geräusch, bis der Vater ihn abschaltet. Es ist klar, dass es momentan Wichtigeres zu tun gibt, als den Film zu sehen. Erst recht, nachdem sie sowieso nach Belieben Vor- und Zurückspulen können.



"Nur um sicherzugehen: Du redest schon von der Belohnung für den vierten Teil... also die Zahnspangen... hab' ich Recht?"

Mit einem zerknirschten Grinsen auf den Lippen nickt Rosa auf die Frage ihrer Mutter.

"Na, dann weiß ich WIRKLICH nicht, was es zu bereden gibt, junge Frau", meldet sich der Vater wieder. "Wie Deine Mutter gesagt hat, war das doch DEIN Wunsch gewesen. Dass DU jetzt etwas dran ändern willst, finde ich schon ein starkes Stück!" Seine Stimme klingt dabei BEI WEITEM nicht so anklagend wie die Worte, die er ausgesprochen hat. Er wiederholt nochmal: "Das war DEINE Idee"

"Ja, ist ja schon Recht, es WAR meine Idee... nein, eigentlich nicht..." Rosalynn seufzt: "Die ZAHNSPANGEN waren meine Idee, aber... aber doch nicht das HEADGEAR..."

"Ein Headgear ist aber auch eine Zahnspange..."

Das Mädchen verdreht die Augen "Ja... schon... aber... Ihr versteht doch, was ich meine?"

"Tun wir schon, aber das ändert trotzdem nichts an unserer Abmachung: DU hattest die Idee, WIR haben Dir dann einen Vorschlag gemacht und DU hast den Vorschlag angenommen..." Der Vater hebt den Zeigefinger: "Und Du kannst Dich nicht rausreden: Du hast ganz genau gewusst, was auf Dich zukommen wird. Willst Du das abstreiten?"

Rosa schüttelt ihren Kopf. "Nein, will ich nicht. Ich sag' ja gar nicht, dass irgendwas ungerecht war oder so, aber ich..."

"Du willst einfach trotzdem nicht mehr?" Die Mutter schlägt ihre Decke zurück und setzt sich auf.

Rosa nickt. Verdammt... das geht wirklich alles den Bach runter. Sie hatte sich zwar in den letzten Minuten einige Dinge zurechtgelegt, die sie ihren Eltern sagen wollte und sie hatte sich auch etwas überlegt, was sie erwidern wollte, wenn ihre Eltern blöde Kommentare abgeben... aber jetzt... jetzt haben die Eltern die Oberhand.

"Kannst Du vergessen, Rosa", antwortet der Vater

Die Mutter schlägt in dieselbe Kerbe: "Da machen wir nicht mit, Schatz."

"Aber Ihr wisst doch gar nicht, WAS ich will", begehrt das Mädchen auf.

"Dann sag es uns doch", fordert der Vater.

Genau da liegt das Problem: Sie hatte ja schon gesagt, was sie will: "Können wir nicht einfach alles vergessen?" und ihre Eltern sind nicht darauf angesprungen. Doch, sind sie, aber so ganz anders als Rosa gehofft hatte. Anstelle eines "Wenn Du willst", hatte sie ein einfaches, aber ziemlich endgültiges "Nein!" zu hören bekommen.

Ein anderer Versuch: "Und... und wenn ich stattdessen auf eine andere Sache verzichte?"

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #8 on: 06. June 2022, 14:52:32 PM »
Kapitel 09/13

Alles hatte damit begonnen, dass die Mutter einige Wochen vor dem Beginn des UPT vorgeschlagen hatte: "Was hältst Du davon, wenn ich Dich zu einem Einkaufsbummel einlade, sobald die ganze Sache hinter Dir liegt?"

Schließlich gibt es etwas zu feiern: Nicht nur hat Rosalynn - hoffentlich - eine gute Bewertung im UPT erhalten und kann somit ihre Wunsch-Universität besuchen. Nein. Der UPT markiert quasi auch das Ende des Schuljahres und damit auch das Ende der High-School. Ein paar Wochen später wird sie die Universität - die "Schule der Erwachsenen" - besuchen. Und das ist doch etwas, das sich zu feiern lohnt, oder nicht?

Nun ist es aber so, dass Rosa durchaus nicht "Nein" zu einem Einkaufsbummel sagen will. Gleichzeitig hatte sie aber schon lange einmal "weiter weg" verreisen wollen. Einige Zeit hin und her gerissen, was sie machen sollte, hatte sie dann doch ihre Eltern gefragt, ob man nicht den Einkaufsbummel gegen eine Reise austauschen könnte.

Es war ziemlich schnell klar, dass die Eltern ihr Wunschziel ablehnen werden. "Zwei Wochen nach Japan" ist einfach nicht drin; weder im Zeitplan noch im Budget der Eltern. Denn natürlich darf Rosalynn noch nicht allein verreisen. Aber insgesamt hatten sich die Erziehungsberechtigten offen dafür gezeigt, mit ihrem Sprössling zusammen zu verreisen.

"Was hältst Du davon?", hatte der Vater ein paar Tage später gefragt: Sie könnten es auch aufteilen: Rosa könne sich entscheiden: Entweder ein "epischer" Einkaufsbummel oder eine größere Reise oder eine Kombination aus beidem: Sie würde ihren Einkaufsbummel bekommen UND ihre Reise, aber beides würde nicht so groß ausfallen, wie wenn sie nur EIN Geschenk bekommen würde.

Schnell hatte Rosa zugesagt. Und von dort war die Idee geboren, für jeden der vier Teile des UPT ein eigenes Geschenk zu bekommen. Die Eltern waren einverstanden. Doch, wie Kinder nun einmal sind: Sie können nie genug bekommen.

Und so hatte Rosa mit ihren Eltern verhandelt, die vier "Geschenke" in vier "Belohnungen" umzuwandeln: Je besser sie in den vier Einzelteilen des UPT abschneidet, desto besser das Geschenk. Die Eltern hatten sich eine Zeitlang beraten, hatten aber dann auch dazu zugestimmt.

Allerdings mit einer Einschränkung: Rosalynns Geburtstag ist bald. Wenn sie das mit dem "Belohnungssystem" tatsächlich umsetzen sollen, würde das vermutlich eine Stange Geld kosten.

Nun... ihre Eltern gehören zu den Glücklichen, die sich um Geld keine wirklichen Sorgen machen müssen, ohne dabei reich zu sein. Er hat eine eigene Firma mit mehreren Angestellten und sie arbeitet als Optikerin in ihrem eigenen Geschäft. Mit anderen Worten: Sie haben genug Geld, um ihrer Tochter die - nicht gerade günstige - private High-School bezahlen zu können - und das auch gerne zu tun.

Und sie haben auch genügend Geld, um ihrer Tochter tatsächlich mehrere Geschenke kaufen zu können. Allerdings: "Wir sind keine Millionäre... Wenn Du das mit den vier Belohnungen für den Test wirklich willst... dann bekommst Du von uns dieses Jahr nichts mehr zum Geburtstag. Einverstanden?"

Rosa hatte keine Sekunde lang gezögert, sondern hatte - ohne zu überlegen - sofort eingeschlagen.



Und so kam es eben zu der "Vereinbarung", von der ich vorhin schon schrieb: Je besser Rosalynn in den vier einzelnen Prüfungen des UPT abschneidet, desto besser - oder teurer - darf das jeweilige Geschenk ausfallen, das sie sich dafür aussuchen darf.

Allerdings gilt das auch nicht endlos: "Statt dem ausgestreckten Finger die ganze Hand zu nehmen, das ist nicht drin", machen die Eltern ihr klar: "Du musst Dir schon Gedanken machen, WAS zu haben willst. Und dann reden wir drüber, ob WIR finden, dass das gerecht und machbar ist, einverstanden?"

Natürlich war Rosa einverstanden. Dennoch hatte sie anfangs ein paar Probleme: Sie hatte ja absolut keine Ahnung, was ihren Eltern denn eine gute Note überhaupt "wert" ist. Darf sie bei einem perfekten Testergebnis damit rechnen, sich bei einem Einkaufsbummel ein Shirt und eine neue Hose aussuchen zu dürfen oder bedeutet ein 'A': Kaufrausch, bis die Kreditkarte glüht?

Deswegen haben ihre Eltern ihr ein paar Vorschläge gemacht: "Was glaubst Du denn: Welche Note wirst Du in Mathe (dem ersten der vier Tests) kriegen?"

Uff, schwer zu sagen. Mathe ist eines der Fächer, in der sich das Töchterchen eher schwer tut. Hängt deutlich von dem Thema ab. Und besser keine allzu hohen Erwartungen pflegen... dann ist Rosa wenigstens nicht allzu enttäuscht, wenn die Note doch "schlecht" ausfällt: "Weiß nicht... vermutlich ein 'C'?" Ja, das klingt halbwegs realistisch...

"Du wolltest doch eine Playstation 5, nicht wahr?" fragt der Vater.

Rosa bekommt große Augen: Das Ding ist inzwischen schon eine Zeitlang im Handel und somit nicht mehr so schweineteuer wie zu Beginn, trotzdem: Es ist noch teuer genug: Und für ein 'C' bekommt sie die PS5?

Nicht ganz: "Wenn Du ein 'B' schreibst, bekommst Du von uns das Teil", korrigiert der Vater.

"Gemein!", ärgert sich Rosa gut gelaunt.

Die Mutter lacht: "Das heißt doch nicht umsonst 'Belohnung': Du SOLLST Dich ja ein bisschen anstrengen..."

"Ist ja gut, ist ja gut", wehrt Rosa ebenfalls lachend ab. Ja: Eine PS5 gegen "ein paar Tage Lernen" einzutauschen, das klingt durchaus verlockend.

Aber... aber wenn ein 'B' ihr schon eine PS5 einbringt, was wäre... was wäre, wenn sie ein 'A' schreibt? OK, das ist nicht sonderlich wahrscheinlich, dennoch: Was wäre wenn?

Mit dieser Frage im Hinterkopf brütet Rosa über einer Liste von Dingen, die sie sich wünschen könnte. Anfangs wird die Liste länger und länger, bevor sie schließlich anfängt, wieder kürzer zu werden: Manche Dinge sind ihr einfach "wichtiger" als andere:

Die Möbel in ihrem Kinderzimmer fangen zwar an, ihrem Geschmack nach ein wenig zu "kindisch" zu sein; verglichen aber mit der Aussicht auf eine PS5 ist klar, wer gewinnt.

Recht schnell stehen die ersten drei Kategorien: Die Spielekonsole, eine Reise und ein Einkaufsbummel...

Nur, was sie sich als Belohnung für den vierten Testteil wünschen sollte, war ihr lange Zeit nicht klar: Doch neue Möbel? Auf das "so richtig gut Essengehen", was die Eltern vorgeschlagen hatten, hat Rosa keine wirkliche Lust. Und wenn sie zwei Kategorien zusammenlegt und so aus einem Einkaufsbummel einen Einkaufsmarathon macht?

Am Ende entscheidet sich Rosa dann doch dafür, sich einfach Geld zu wünschen. Geld geht immer und kann "für alles" eingesetzt werden. Selbst wenn ihr nichts Besseres einfällt: Solange sie das Geld spart, kann sie es immer noch ausgeben, sobald sie weiß, was sie sich damit kaufen will.

Sie hatte ihren Eltern die vier Punkte vorgeschlagen und die waren einverstanden.



Doch schon am folgenden Tag, als sie aus der Schule kam, hatte sie den Plan wieder umgeworfen: Denn Amy war ihre Zahnspangen losgeworden. Und... WOW. Ihre Zähne stehen jetzt wie eine Eins, so schön und gerade.

Dass ihre Schulfreundin ihre Spangen loswurde, ist Rosas zweite Begegnung mit dem Thema: Vor - ja, es könnte schon ein Jahr her sein - also vor einem Jahr hatten ihre Eltern sie nämlich zu einem Kieferorthopäden geschleppt.

Rosa war erstaunt, dessen Befund zu hören. Denn der unterschied sich signifikant von dem, was sie von ihrem eigenen Gebiss gehalten hatte: Natürlich war es nicht absolut gerade, aber doch auch nicht so schief, dass man unbedingt was dagegen tun müsste.

Sie hätte nichts dagegen gehabt, Zahnspangen zu bekommen, schließlich haben viele Klassenkameraden die Dinger im Mund; es wäre also nichts Ungewöhnliches, sich in die Gruppe der Spangenträger einzureihen. Gleichzeitig war sie jedoch auch der Meinung, dass eine Behandlung nicht unbedingt sein müsse; schließlich war es ja nicht so schlimm um ihr Gebiss bestellt.

Dr. Coleman, der Kieferorthopäde, hatte das aber entschieden anders gesehen: Ja, da gehört etwas gemacht. Und zwar je schneller, desto besser. Er hatte den Eltern eingeschärft, dass zwar noch nicht "höchste Eisenbahn" geboten ist, dass man sich allerdings auch nicht mehr mehrere Jahre Zeit lassen sollte. Denn das würde eine spätere Behandlung nur unnötig verkomplizieren.

Also hatten sich die Eltern - wie wohl viele andere in der Situation auch - entschieden, ihrem Kind eine Behandlung zu "gönnen". Sie würde sich also über kurz-oder-lang auf dem Stuhl des Kieferorthopäden wiederfinden.

Und nachdem Rosa die Gipsabdrücke ihrer Zähne gesehen hatte, hatte sie selber zugeben müssen, dass "ein klein bisschen schief" nicht so ganz zutrifft. Da wahr wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Nach ein paar Tagen war sie also zu dem Entschluss gekommen, dass es - mit diesen "Kraut-und-Rüben" Zähnen - vielleicht doch nicht einmal schlecht sei, Zahnspangen zu tragen.



Dass jedoch seitdem so etwa ein Jahr vergangen ist, ohne dass die Behandlung einen weiteren Schritt gemacht hat, hat eine ganz bestimmte Ursache: Der Behandlungsplan von Dr. Coleman. Denn der gefällt ihr nicht. Absolut nicht! Ganz und gar nicht!

Wenn man will, kann man diesen Plan in zwei Teile gliedern: Der erste Teil sind die festen Spangen.

OK... darüber hatten wir ja schon geredet: Mit der Aussicht, feste Spangen zu tragen, hat Rosa kein Problem. Sie freut sich zwar nicht auf ihr Silberlächeln, aber sie kann sich andererseits auch nicht vorstellen, damit Probleme zu haben.

Doch das kann man vom zweiten Teil leider nicht behaupten: Denn Dr. Coleman hatte deutlich gemacht, dass die festen Spangen alleine nicht ausreichen würden, Rosalynns Fehlstellungen zu beheben. Dazu sei - leider - ein zweites Behandlungsgerät nötig.

Und mehr als einmal fiel in dem Zusammenhang der Begriff "Headgear".

DAS ist der Grund, warum Rosa immer noch keine Spangen trägt. Sie will zwar inzwischen gerade Zähne; aber nicht, wenn sie dazu so ein Zaumzeug umgeschnallt bekommt! Das wäre doch hochnotpeinlich! Und so hatte sie es geschafft, den Start der Behandlung immer weiter nach hinten zu schieben.

Zugegeben: Der Kieferorthopäde hatte auch eine weniger auffällige Alternative zum Headgear vorgeschlagen, doch die würde einen deutlichen Aufpreis zum "Kassenmodell" kosten. Geld, das es den Eltern damals anscheinend nicht wert schien. Oder sie hatten gar nicht damit gerechnet, dass ihre Tochter etwas gegen ein Headgear einwenden würde. So oder so: Rosa wurde nie gefragt, ob sie die Alternativen bevorzugen würde.

Und Rosa hatte kein einziges Mal erwähnt, dass ihr die Aussicht, in so einen Metallbogen geschnallt zu werden, alles andere als gefällt. Mit anderen Worten: Ihre Eltern hatten überhaupt nicht wissen können, dass ihre Tochter die Alternative deutlich bevorzugen würde. Wenn sie das JETZT - nach einem ganzen Jahr des Schweigens - erwähnen würde, müsste sie wohl damit rechnen, dass ihre Eltern nicht begeistert sind.

Und sie müsste sich sicherlich auch so etwas anhören wie: "Deine Abneigung gegen so eine Außenspange kann nicht sonderlich groß sein, wenn Du ein GANZES Jahr lang nichts gesagt hast..." Dagegen zu argumentieren ist nicht leicht!

Und so langsam werden ihre Eltern ein wenig ungeduldig. Sie sind mit dem Kieferorthopäden einer Meinung, dass man nicht mehr lange warten sollte. Wenn also kein Wunder geschieht, wird sich Rosa bald mit festen Spangen und in Headgear wiederfinden.

Und noch immer hatte sie sich nicht dazu bringen können, mit ihren Eltern darüber zu reden. Stattdessen hatte Rosa das Thema aktiv vermieden. Vielleicht hätte sie in letzter Minute versucht, ihre Eltern davon abzubringen, auch auf die Gefahr hin, dass sie wütend werden könnten.

Doch das kann niemand mit Sicherheit wissen, denn jetzt, als sie sah, wie wunderbar Amys Lachen geworden ist... naja, Rosalynn war neidisch.

Wenn die dumme Sache mit der Außenspange nicht gewesen wäre, das Mädchen hätte jetzt beinahe "gerne" Spangen bekommen, um ihre Zähne begradigen zu lassen.

Doch, halt! Stopp: Es GIBT doch inzwischen einen Ausweg! Es gibt doch seit wenigen Tagen eine Möglichkeit, wie sie nicht mehr zum Headgear verdammt ist:

Die Eltern waren erstaunt. DAS Thema hatten sie gar nicht auf dem Schirm. Dass sich ihr Töchterchen als vierte Belohnung "unauffällige Zahnspangen" wünscht, hatte sie überrascht.

Aber... warum nicht?


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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #9 on: 07. June 2022, 15:59:50 PM »
Nachdem Bedenken geäußert wurden, dass meine Geschichte gegen die Forums-Regeln verstößt (besonders die Regel, die das Alter der Beteiligten festlegt), habe ich Rosalynns Alter angehoben. Alle Beteiligten sind nun volljährig! In dem Zug habe ich ein paar Änderungen durchführen müssen.

Diese Änderungen haben allerdings auf die nächsten Kapitel keinen nennenswerten Einfluss, daher hatte ich absolut keine Lust, auch nur den geringsten Aufwand hineinzustecken, meine Geschichte zu überarbeiten. Daher sind die Änderungen - besonders an den ersten Kapiteln - (absichtlich!) sehr grob:

Es gibt nun ein dreigliedriges Schulsystem, in dem der Besuch einer Universität für jeden Schüler nach der High-School verpflichtend ist! Aus demselben Grund wurde das "normale" Zahnspangenalter um mehrere Jahre angehoben, sodass nun erst 18-jährige Personen Spangen bekommen!


Kapitel 10/13

"Und... und wenn ich stattdessen auf eine andere Sache verzichte?", fragt Rosa erneut, während ihre Mutter den Kopf schüttelt:

"Wir hatten doch schon darüber geredet, dass die Geschenke fix sind und Du sie nicht mehr ändern darfst..."

Mit wenig Begeisterung fühlt sich Rosa genötigt, zu nicken:

Wider Erwarten war der Mathe-Test lachhaft einfach ausgefallen. Oder die paar Tage, die sie Mathe gebüffelt hatte, hatten Wunder gewirkt: Wie auch immer: Mit großen Augen und einem breiten Grinsen hatte Rosa das 'A' wahrgenommen, das sich auf ihrem Mathetest gezeigt hatte.

Weniger begeistert war sie über das 'C' in Englisch. Hier hatte sie ehrlichgesagt mit einem 'A' gerechnet. Dementsprechend geknickt ist sie, als sie den runden Buchstaben anstelle des spitzen sieht.

Denn hinter dem Test in Englisch "verbirgt" sich als Belohnung die Reise, die sie mit den Eltern ausgehandelt hatte. Und mit einem 'C' darf sie nun einfach weniger erwarten als mit einem 'A'.

Die Reise nach Japan war ja von Anfang an gestorben, aber für ein 'A' hatten ihr die Eltern eine einwöchige Reise nach Frankreich vorgeschlagen. Das erste Mal in Europa... ja, das hatte für das Mädchen einladend geklungen. Mit einem 'C' kann sie nun Europa knicken. Dabei wäre sie aber so gerne nach Frankreich geflogen...

Deswegen hatte sie ihre Eltern gebeten: "Können wir nicht die Preise durchtauschen? Oder... noch besser: Können wir nicht einfach sagen: Ich darf mir frei raussuchen, welche Note ich für welches Geschenk eintauschen will?"

Doch damit waren die Eltern nicht einverstanden: Abgemacht ist abgemacht. Und ihre Tochter habe ja damals zugestimmt. Sie dürfe also jetzt nachträglich nicht mehr Änderungswünsche anbringen wollen.

Und genau darauf bezieht sich die Mutter nun. "Wir hatten doch abgemacht, dass Belohnung nicht durchgetauscht werden dürfen. Und jetzt fragst Du, ob Du - um keine Außenspange zu bekommen - auf eine Belohnung verzichten 'darfst'... Findest Du das gerecht?"

Unglücklich dreinblickend zuckt Rosa mit den Schultern: "Ich hab' halt gehofft, dass..." sie spricht den Satz nicht zu Ende, als der Vater mit dem Kopf schüttelt.



Eigentlich hat Rosa nicht viel, über das sie sich beklagen kann: Ja, OK, das 'C' in Englisch bedeutet, dass sie die Reise nach Europa knicken kann. Auch ein Wochenend-Trip nach New York - den sie für ein 'B' bekommen hätte - ist damit Geschichte. Wäre schön gewesen, DAS mit einem Einkaufsbummel kombinieren zu können, aber es geht nun einmal nicht, da braucht sie dem nicht hinterher zu heulen... Hinter dem 'C' verbirgt sich ein Ausflug ins Death Valley. Nicht Rosas größter Wunsch, aber immerhin besser als gar nichts. Und aus geographischer Sicht sicher auch hochinteressant.

Das 'A' in Mathe hatte nicht nur dafür gesorgt, dass die PS5 in den nächsten Tagen per Post kommen sollte; ihre Eltern sind sogar bereit, ihr zusätzlich ein Tablet zu kaufen. Genial!

Das 'B' im dritten Test, in dem in dutzenden Multiple-Choice Fragen "Allgemeinwissen" abgefragt worden war, sorgt dafür, dass der Einkaufsbummel nun nicht "grandios" ausfallen wird. Aber ein paar neue Klamotten sollten auf jeden Fall drin sein. Immerhin! Vermutlich kann sie ihren Eltern dann auch noch ein "Taschengeld" zusätzlich aus den Rippen leiern!

In anderen Worten: Rosa hatte als Belohnung viel mehr rausschlagen können, als sie sich anfangs hatte vorstellen können. Deswegen hat sie auch beinahe ein schlechtes Gewissen, so viele Geschenke zu bekommen. Beinahe!

Wenn die dumme Sache mit der vierten Wunsch-Kategorie nicht wäre, Rosa hätte wirklich zufrieden sein können.



"Und... und wenn ich auf das Tablet verzichte? Ihr... ihr habe es ja noch nicht bestellt..."

Ihre Eltern schütteln gleichzeitig ihre Köpfe.

"Und... was... was ist, wenn ich," Rosa leckt sich über die Lippen. "Wenn ich auch auf die Playstation verzichte? Wenn wir die zurückschicken?" Dieser Vorschlag kommt Rosa hart an, sie hatte sich wirklich schon auf die Konsole gefreut.

Ihr Vater schüttelt erneut den Kopf.

Ein letzter Versuch, Rosa ignoriert die immer schlechter werdenden Chancen: "Und wenn ich auf alles verzichte? Wenn wir sagen, dass..."

"Nein, Schatz, so läuft das nicht", unterbricht ihre Mutter ihren Redefluss. "Ich versteh' Dich ja halbwegs, dass Du versuchst, das beste rauszuschlagen. Das würde ich an Deiner Stelle sicher auch tun... Aber, Schatz... Du musst doch einsehen, dass wir ausgemacht haben, dass wir - also weder DU noch WIR - später etwas verändern dürfen..."

"Schon, das weiß ich ja..."

"Aber?"

"...ich... ach... nichts", seufzt Rosa. "Ich will einfach kein blödes Headgear..."

"Meinst Du wirklich, dass das SO schlimm wird?"

Rosa schaut ihre Eltern an, als könnte sie nicht glauben, was sie gehört hat: "Mama, das ist 'ne AUSSENSPANGE..."

"Ja, das weiß ich..."

Rosa verdreht die Augen: Natürlich weiß ihre Mutter, was ein Headgear ist. Aber sie hat KEINE Ahnung, wie schlimm das sein muss.

"Ich hatte als Kind selber so ein Gerät getragen... UND ich hab's überlebt..."

Die Tochter starrt ihre Mutter mit großen Augen an: "Du... Du hast so ein Teil gehabt?"

Die Mutter nickt.

"Aber... aber warum hast Du mir nichts davon erzählt?"

Die Mutter schaut verdutzt drein: "Warum hätte ich das tun sollen?" Dann seufzt sie: "Ach Schatz, mach' Dir das Leben doch nicht so schwer. Ein Headgear ist nichts, über das man sich so einen Kopf machen müsste, wie Du das gerade tust..."

Rosa zuckt mit den Schultern. Sie will nicht widersprechen. Dennoch ist klar, dass sie die Meinung ihrer Mutter nicht teilt.

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #10 on: 08. June 2022, 16:35:53 PM »
Kapitel 11/13

Ein paar Sekunden vergehen, dann sagt sie, an niemand spezielles gewandt: "Wenn ich auch nur im Entferntesten geahnt hätte, dass ich die Mündliche so in den Sand setzen würde, dann..."

"Was dann?", fragt der Vater, als Rosa schweigt.

"...dann hätte ich vermutlich drauf bestanden, dass das Schlimmste, was ich bekommen könnte, feste Spangen sind. Aber OHNE Headgear!"

Der Vater schaut skeptisch drein: "Ich glaube nicht, dass wir das zugelassen hätten, Rosa!"

Sie sieht ihren Vater verdutzt an, sodass der sich bemüßigt fühlt, zu erläutern:

"Rosa, Du weißt ja selber noch, was uns Dr. Coleman erklärt hat: Die festen Spangen reichen bei Dir nicht aus, Du BRAUCHST ein Zusatzgerät dafür..."

Rosa nickt leicht, sehr wenig angetan von der Richtung, in der ihr Vater sie gerade führt. "Und wir alle können doch hoffentlich einsehen, dass es keinen Sinn macht, Deine Behandlung nur halbherzig durchführen. Du bist doch ein vernünftiges Mädel. Du willst doch sicher auch nicht, dass Deine Zähne später nur halbwegs gerade sind, oder?"

Dieses Mal ist es kein Kopfnicken, sondern ein Kopfschütteln, das folgt. "Ne... das... das will ich ja auch nicht. Ich WILL ja gerade Zähne..."

"Siehst Du, Rosa", der Vater nickt, erleichtert, dass sein Töchterchen nicht bockt. "Du hast selber gesagt, dass Du die Behandlung willst. Einfach nur die Hälfte zu machen, das ist doch dumm, nicht wahr?"

Das Nicken fällt zaghafter aus; ihr Vater versteht, warum: "Ja, ich weiß schon, Du willst gerade Zähne aber möglichst ohne Außenspange..."

DAS Nicken ist deutlich.

"Wir verstehen Dich durchaus, wirklich, das tun wir. Aber DU musst doch auch einsehen, dass es keinen Weg daran vorbei gibt. Dr. Coleman hat doch gesagt, dass bei Dir so eine Spange nötig ist. Kannst Du das nicht einsehen?"



"Doch, kann ich schon..." Und dann leiser: "Aber trotzdem: Ich finde es unfair..."

"Was ist unfair?", fragt die Mutter, die ihre Tochter dennoch gehört hat.

"Ach... nichts", gibt Rosa klein bei.

"Nein, Rosa, das gilt nicht!", verlangt der Vater: "Wenn Du schon so anfängst, dann sprichst Du den Satz auch fertig. Deiner Mutter und mir gefällt es nämlich nicht sonderlich, 'unfair' genannt zu werden, ohne zu wissen, warum und wieso..."

"Ich... ich mein nur: Alles andere ist doch immer positiv gewesen..." sie zuckt mit den Schultern: "Jedes andere Geschenk war doch immer nur positiv... oder im schlimmsten Fall eben neutral..."

"Zum Beispiel die... die Reise: Wenn ich ein 'A' geschrieben hätte, wären wir nach Frankreich geflogen. Hab' ich jetzt nicht geschafft... ist ja OK, dann fahren wir eben ins Death Valley... wollte ich ja immer schon mal hin... und wenn ich ein 'F' geschrieben hätte... dann wären wir eben zuhause geblieben..."

Sie redet sich in Fahrt: "Oder bei der Playstation: Weil ich ein 'A' bekommen habe, krieg ich von Euch sogar noch ein Tablet obendrauf. Und wenn ich ein 'F' geschrieben hätte, dann hätte ich nichts bekommen, sondern hätte auf meiner alten Playstation weiterspielen können..."

"Aber jetzt... bei den Spangen... das ist doch sch***e! Weil ich ein 'F' geschrieben habe, krieg ich keine unauffälligen Spangen, sondern die normalen Metall-Spangen." Sie blickt auf und setzt schnell hinzu: "Das ist ja in Ordnung. Damit hab' ich ja kein Problem. Ich hätte zwar schon gerne unauffällige Spangen gehabt... aber die normalen sind auch OK..."

Sie zuckt mit den Schultern, ihr Blick geht zwischen den Eltern durch: "Aber... aber das Headgear..." sie sucht nach Worten: "Das... das... finde ich unfair! Das ist doch das Einzige, was negativ ist..."

"Du findest es unfair, eine Außenspange zu bekommen?"

In einer beredten Geste zuckt Rosa ihre Schultern, schweigt aber sonst.

"Kannst Du mir erklären, warum Du das unfair findest?", fragt die Mutter.

"Alles... alles andere war doch immer positiv... oder neutral im schlimmsten Fall: Wenn ich eine gute Note geschrieben habe, bekomme ich von Euch eine Belohnung; wenn ich eine schlechte Note geschrieben hätte, würde ich eben nichts bekommen." Sie leckt sich die Lippen: "Aber das... das ist das Einzige, das negativ ist. Nur weil ich ein 'F' geschrieben habe, muss ich jetzt eine Außenspange tragen... DAS finde ich unfair..."

"Du willst also sagen, dass eine Außenspange 'negativ' ist?", fragt die Mutter.

Rosa spart sich eine Antwort, ihrer Meinung nach ist die Sache absolut klar.



Ein paar Sekunden Stille vergehen, in der die Eltern ihrer Tochter Zeit geben, noch etwas dazu zu setzen. Doch das geschieht nicht.

"Du vergisst nur eine Sache...", erwidert der Vater schließlich. "Du vergisst, dass Du sowieso eine Außenspange brauchen würdest. Du warst doch bei dem Beratungsgespräch dabei, als Dr. Coleman uns das erklärt hat..."

Wieder ein Schulterzucken von Rosa. "Ja, schon, aber..."

"Nein, Rosa, kein Aber!", der Vater schüttelt den Kopf: "Das mit den Zahnspangen ist ganz genauso wie mit den anderen drei Geschenken! Schauen wir uns das doch mal im Detail an:" Der Vater zählt seine einzelnen Argumente an den Fingern ab, während seine Tochter miserabel dreinschaut.

Sie hat inzwischen gelernt: Wenn ihr Vater sich so verhält, hat sie schlechte Karten. Denn dann ist er sich seiner Sache sicher.

"Erstens: Du hast vollkommen recht: Je besser Deine Note ausfällt, desto teurer darf das Geschenk sein, das Du Dir aussuchen darfst. Zweitens: Du hast wieder Recht: Wenn Du ein 'F' schreibst, kriegst Du von uns in dem Teil der Prüfung gar nichts"

"Drittens: Du hast gerade nochmal selber gesagt, dass Du Deine Zähne weiterhin korrigieren lassen willst. Viertens: Wir haben gerade nochmal ausgemacht, dass es keinen Sinn macht, nur eine halbe Behandlung zu machen. Das hast Du ja selber eingesehen..."



"Ach Schatz, Du ziehst ja ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter..." unterbricht die Mutter die Aufzählung ihres Mannes.

"Und das wundert Dich?", Rosa lacht trocken.

"Ein bisschen, ja..." die Mutter spricht sanft: "Ich verstehe Dich ja, dass Du nicht begeistert bist beim Gedanken an das Headgear... Aber, Schatz... glaub' mir, das ist wirklich nicht so schlimm, wie Du Dir das jetzt vorstellst..."

Rosa kann sich gerade noch dazu bringen, nicht zu sagen: "Du hast doch keine Ahnung... Du hast doch keine Ahnung, wie sch***e so ein Teil ist..." Doch dann ist ihr gerade noch aufgefallen, dass sie sich damit selber ins Knie schießen würde: Ihre Mutter hat mehr Ahnung davon als sie selbst, wie sich so eine Spange anfühlen muss. Ihre Mutter ist schließlich die Einzige, die Erfahrungen aus erster Hand hat!

"Ich versteh' ja schon, dass ich das Teil brauche..." beschwert sich Rosa "Es ist aber so verdammt peinlich..."

Die Mutter nickt: "Das ist es sicher" Dann lacht sie: "Da kann ich Dir gar nicht widersprechen... Aber schau her, Schatz: Niemand verlangt von Dir, das Teil in der Universität zu tragen."

Ihr Abkömmling schüttelt sich beim bloßen Gedanken daran.

"Ich kann Dir natürlich nicht ganz genau sagen, was Dr. Coleman sagen wird, aber Du wirst sicher die Außenspange nur zuhause tragen müssen." Die Mutter nickt lächelnd. "Und selbst wenn nicht... selbst WENN er darauf bestehen sollte, dass Du die Außenspange den ganzen Tag tragen müsstest - was ich im Übrigen nicht glaube - dann würde ICH NICHT drauf bestehen. Von MIR aus reicht es vollkommen, wenn Du sie zuhause trägst..."

Zwei Gefühle streiten in Rosalynns Brust um Vorherrschaft: Die "Verzweiflung", dass ihre Eltern in der Tat darauf bestehen, dass die das dumme Teil tragen muss. Und die "Erleichterung", dass ihre Mutter ihr quasi gerade versprochen hat, nicht ALLZU streng zu sein.

Wenn... WENN sie also wirklich die blöde Außenspange tragen muss, dann... dann wird es hoffentlich nicht so schlimm wie sie sich das ausgemalt hatte. "Und wenn Mama wirklich früher so ein Teil getragen hat... dann kann sie mich ja vermutlich umso besser verstehen..." denkt sich Rosa. "Und wird nicht gleich sauer, wenn ich mal nicht will... Wenigstens etwas..."

Besser wäre natürlich weiterhin, wenn sie das blöde Teil gar nicht bekäme...

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #11 on: 09. June 2022, 17:09:46 PM »
Kapitel 12/13

"Lass mich meinen Gedanken noch fertigmachen", bittet der Vater. "Wenn Du Deine Behandlung beginnst, bekommst Du Zahnspangen... soweit so klar. Du weißt ja noch: Dr. Coleman hatte uns verschiedene Arten von Zahnspangen gezeigt, zwischen denen Du Dich entscheiden könntest." Rosa nickt.

In der Tat hatte der Kieferorthopäde mehrere Behandlungsgeräte vorgestellt. Er hatte von Anfang an dazugesagt, dass er Invisalign nur der Vollständigkeit halber erwähne, weil die Schienen bei Rosalynn absolut nicht ausreichen würden, die Fehlstellung zu beheben. Sie brauche ohne Wenn-und-Aber feste Spangen. Aber auch da gebe es mehrere verschiedene Systeme, die sich in ihrer "Auffälligkeit" aber auch im Preis unterscheiden würden. Doch leider laufen die beiden Werte entgegengesetzt: Je günstiger, desto auffälliger.

Am oberen Ende des Spektrums wären linguale Spangen, die man "von außen" gar nicht sehen würde, die dafür aber sauteuer seien. Dann kämen unauffällige Spangen mit Brackets aus Keramik oder Kunststoff. Dann selbstligierende Spangen. Die sind zwar auch aus Metall, aber kleiner als die herkömmlichen festen Spangen und daher etwas weniger sichtbar. Und dann eben die "normalen" festen Spangen aus Metall.

Doch dummerweise würde das noch nicht genug sein; zu schwer seien die Fehlstellungen. So unangenehm das für seine zukünftige Patientin sei, sie brauche jedoch zwingend ein weiteres Behandlungsgerät.

"Auch da hat uns Dr. Coleman doch zwei Alternativen genannt, nicht wahr?" Die eine Möglichkeit sei in den USA deutlich weniger verbreitet als in Europa, schließlich wurde dieses Behandlungsgerät in Deutschland erfunden... Ein Gerät mit dem Namen "SUS" sei in der Lage, die Zähne passend zu bewegen, sodass sich die Relation der Kiefer zueinander verbessere.

Kommentar: Ich weiß nicht, ob eine SUS wirklich dazu in der Lage ist. Kreative Freiheit!

In Kurz: Mit dem SUS-Gerät würde sich in Kombination mit festen Spangen ihre Fehlstellung beheben lassen. Und weil es IM Mund ist, ist es zwar nicht komplett unsichtbar, aber deutlich weniger sichtbar als die andere Alternative - der bewährte Headgear. Das Dumme an der SUS sei leider, dass sie deutlich komplexer herzustellen und anzupassen sei. Gesichtsbogen und Polster seien Massenware, aber die SUS muss individuell von einem Zahnlabor angefertigt werden. Und das koste nun einmal nicht gerade wenig Geld...



"Wir waren ja bereit, Dir die unauffälligen Spangen und diese 'SUS' zu bezahlen, wenn Du eine gute Note schreibst...", fährt der Vater fort, "Ganz genau so wie Du das gewollt hattest. Ganz genau so wie wir bei den anderen drei Prüfungen bereit waren, Dir eine 'teure' Belohnung zu geben."

"Und ganz genau wie bei den anderen drei Prüfungen hatten wir miteinander abgemacht, dass wir Dir nichts bezahlen, wenn Du ein 'F' schreibst. Das war unsere Abmachung, kannst Du Dich erinnern?"

Rosa nickt, die Lippen aufeinander gepresst. Sie hat eine Ahnung, wohin ihr Vater sie führen will. Und sie ahnt, dass sie es dort nicht leiden kann.

"Also...", der Vater hebt seinen Zeigefinger: "Du bekommst ja Deine Behandlung, das steht außer Frage. Schließlich sollst Du gerade Zähne haben. Das ist uns doch genauso wichtig wie Dir! Wir wollen doch auch, dass Du zufrieden bist..."

"Die einzige Frage, die sich noch stellt, ist: Welchem Typ von Spangen wirst Du bekommen? Und, Rosa... Du warst bereit, die Form der Spangen als Einsatz für Dein Geschenk zu nehmen. Je besser die Note, desto unauffälliger - und teurer."

Beinahe kläglich nickt Rosa. Das weiß sie ja alles, ihr Vater hätte sie nicht daran erinnern müssen... sie hatte nur gehofft, vielleicht doch etwas dran ändern zu können...

"Jetzt hast Du wegen Deines Blackouts nun einmal ein 'F' bekommen. Das ist dumm gelaufen, das gebe ich gerne zu. Das hattest DU nicht erwartet und WIR auch nicht... Nach dem, was Du uns gestern erzählt hast, hast Du das Ergebnis aber für Dich selber inzwischen akzeptiert..."

Rosa nickt nicht. Sie will vor ihren Eltern nicht zugeben, dass sie inzwischen - zumindest teilweise - Herrn Klyne Recht geben muss. So blöd das auch ist, so gerne sie eine bessere Note gehabt hätte: An dem 'F' gibt es nichts mehr zu rütteln... So gerne sie den Test wiederholen wollte, so wenig wird das in der Realität geschehen.

Aber wenn sie das zugeben würde, würde das ihre Chancen, sich irgendwie aus dieser vertrackten Situation befreien zu können, erheblich vermindern. Ihr Vater scheint aber die Apathie seiner Tochter richtig zu deuten:

"'F' bedeutet nun einmal, dass wir kein Geld in die Hand nehmen. Wir fahren nicht in den Urlaub; Du bekommst keine Spielekonsole... "

"Wir bezahlen Deine Behandlung, das steht außer Frage. Aber das 'F' bedeutet in dem Fall, dass wir kein ZUSÄTZLICHES Geld in die Hand nehmen werden. Du musst mit dem Vorlieb nehmen, was für Dr. Coleman die günstigste Option ist. Und das sind nun einmal keine unauffälligen Spangen aus Kunststoff. Und das ist auch keine maßangefertige Apparatur, sondern das Headgear."

Doch ihr Vater ist noch nicht fertig: "Ich will nochmal auf das zurückkommen, was Du vorhin gesagt hattest: Wenn Du gewusst hättest, dass Du durchfallen könntest, hättest Du die Belohnung so gewählt, dass Du kein Headgear bekommen würdest... Ich denke, Du kannst jetzt sehen, warum wir das nicht zugelassen hätten:"

"Du brauchst so eine 'spezielle' Spange - und Du wirst sie deswegen auch bekommen. Diese Spange nicht zu tragen, würde nämlich bedeuten, nur die halbe Arbeit zu machen. Und das willst Du ja selber nicht! Deswegen hätten wir nicht zugelassen, dass Du darauf 'verzichtest'. Nicht weil wir Dich ärgern wollen, sondern weil Du diese Spange brauchst..."



"Außerdem..." Der Vater gestattet sich ein Grinsen: "Ich darf Dich daran erinnern, was Du gesagt hattest, als wir Dir die verschiedenen Optionen vorgeschlagen hatten?"

Rosalynn presst die Lippen aufeinander. Sie erinnert sich. OH JA, sie erinnert sich genau: Sie hatte gelacht! Sie hatte höhnisch gelacht und sich schon auf die unauffälligen Spangen gefreut.

Es war ihr doch klar, dass sie schlechtestenfalls ein 'C' bekommen wird. Und auch das nur, wenn sie sich ganz besonders dumm anstellen würde. Sie hatte immer mit einem 'B' oder vielleicht sogar besser in der mündlichen Prüfung gerechnet. Das Fach Geographie hatte sie einfach genug interessiert, dass sie sich da keine Sorgen machen musste, zu "versagen".

Sie hatte also ganz fest mit Kunststoffspangen gerechnet. Es hätte nicht mal das linguale Zeug sein müssen; die Brackets aus Kunststoff hätten ihr vollkommen "gereicht". Oder... eigentlich waren ja die unauffälligen Kunststoff-Brackets noch nicht einmal ihr Hauptanliegen:

Vielmehr hatte sie doch mit ihren Eltern ausgemacht, dass sie die unauffällige Alternative zum Headgear bezahlen, solange Rosa kein 'F' anschleppt. Mit anderen Worten: Selbst bei einem 'D', wenn sie schon die "normalen" Metall-Spangen bekommen hätte, hätten die Eltern immer noch den Aufpreis für die SUS bezahlt.

Und weil sie ja ganz fest damit gerechnet hatte, dass sie im schlimmsten Fall ein 'C' bekommt, hatte sie sich kaum Gedanken gemacht, was bei einem 'F' auf sie zukommen könnte. Warum auch? Und so war sie vollkommen sicher, der nervigen Außenspange ein Schnippchen geschlagen zu haben. Aus dieser Sicherheit heraus hatte sie leichthin gesagt:

"Headgear? Könnt Ihr vergessen. Wird nie passieren! Ich bekomme doch kein 'F'..." Dann hatte sie gelacht: "Aber wenn ich wirklich so blöd bin und ein 'F' heimbringe... na, dann geschieht es mir nicht besser..." Dann grinst sie sehr breit: "'F bedeutet headgear?' OK, ich bin dabei!"

Das waren ihre Worte, an die sie sich nun mit Grauen zurückerinnert. "Ich sehe, Du erinnerst Dich noch", lächelt der Vater.



"Aber... aber was ist, wenn ich mich nicht an das Headgear gewöhnen KANN?"

"Malen wir doch den Teufel nicht an die Wand...", fordert der Vater.

Auch die Mutter ist derselben Meinung: "Wir können doch JETZT noch nicht abschätzen, wie Du mit der Außenspange klarkommst, wenn Du sie noch gar nicht tragen musst... Wir müssen doch erst einmal abwarten, bis Du die Spange bekommen hast. DANN können wir schauen, OK?"

Schweigend nickt Rosa.

"Ach Schatz, wir machen das doch nicht, um Dich zu bestrafen...", die Mutter streckt die Hand nach ihrer Tochter aus und berührt sie sanft am Knie. "Es ist doch nicht so, dass wir von Dir FORDERN, dass Du extra-schlimme Zahnspangen tragen musst, weil Du in dem Test nicht gut abgeschnitten hast... Glaubst Du das wirklich?"

Hastig schüttelt Rosa den Kopf. "Nein... nein, das glaube ich nicht. Echt nicht..." Sie hatte wirklich nicht andeuten wollen, dass ihre Eltern sie für ihr Versagen bestrafen wollen. Denn sie weiß ja selber, dass das nicht wahr ist. Ihre Eltern haben zwar keine Ahnung, wie schlimm das ist, was sie jetzt von ihrer Tochter fordern. Aber nein: Bestrafen wollen sie Rosa nicht, das ist klar.

"Wenn es wirklich nicht klappen sollte... wenn Du Dich wirklich nicht an die Außenspange gewöhnen kannst... dann ist das eine andere Sache. Dann... na, dann müssen wir einen Weg drum herum finden. Aber..." die Mutter klingt resolut: "nach EINER Woche schon zu sagen: 'Ich kann nicht', das gilt nicht. Du musst dem Ganzen schon eine faire Chance geben!"



"Und wenn ich... wenn ich mein Sparschwein plündere und... und damit selber den Aufpreis für die... die Alternative bezahle?"

Ein Kopfschütteln der Eltern. "Abgemacht ist abgemacht". Ganz davon zu schweigen, dass alle drei wissen, dass Lynns Barschaft derzeit nicht der Rede wert ist.

"Und... und wenn... wenn ich...", ein letzter Versuch, ein letztes Aufbäumen.

Der Vater lässt ihr Zeit, eine Antwort zu finden. Ein paar Sekunden verstreichen, in denen das Mädchen an ihrem Handy herumnestelt und es nicht schafft, ihre Eltern anzusehen.

"Wenn Du... was?"

Ein langes Seufzen: "Ich weiß auch nicht..."

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #12 on: 10. June 2022, 16:29:44 PM »
Kapitel 13/13

"Schau her, Schatz", die Mutter rückt ein bisschen dichter zu ihrer Tochter: "Meinst Du nicht auch, dass es unfair wäre, wenn Du wieder alles über den Haufen schmeißen würdest, nur weil Dir ein Ergebnis nicht gefällt?"

Rosa zuckt mit den Schultern. Einen Teil der Argumente kann sie ja einsehen: Wenn sie etwas ausgemacht haben, dann sollten sie sich auch daran halten, und so. Und wenn sie ausgemacht haben, dass man die Belohnung nicht durchtauschen darf... dann meinetwegen... dann muss man sich eben daran halten...

Aber, auf der anderen Seite: Sie selbst wäre ja bereit, auf einen Teil ihrer Geschenke zu verzichten, wenn sich damit das Thema "Headgear" beheben ließe. Oder... anders formuliert: Ihre Eltern haben doch gerade erklärt, dass sie die unauffälligere Spange deswegen nicht bekommen soll, weil sie Geld kostet.

Meinetwegen, das versteht sie ja: Sie hatten ausgemacht, dass es bei einem 'F' kein Geld für unauffällige Spangen gibt. OK, das ist fair, wenn die Eltern darauf bestehen... unschön, aber fair!

ABER: Warum kann sie nicht einfach eines der Geschenke "umwandeln"? Warum können sie nicht einfach sagen: "Wir machen keinen Einkaufsbummel, dafür bezahlen wir Dir den Aufpreis für die SUS"? Warum wollen ihre Eltern da nicht zustimmen?

Sie hatte ja sogar vorgeschlagen, auf ALLE Geschenke zu verzichten. Da würden ihre Eltern doch einen HAUFEN Geld sparen. SO teuer kann die SUS doch gar nicht sein...

Oder... sie war ja sogar bereit, einen Teil der Behandlung aus eigener Tasche zu bezahlen...

Einfach nur zu sagen: "Ausgemacht ist ausgemacht", das ist doch nicht fair!



"Ich finde, das ist unfair uns gegenüber, wenn Du so argumentierst"

Das Mädchen schaut verwundert auf: "Warum?" Sie würde ihren Eltern sogar Geld sparen und dennoch soll das unfair sein?

"Ich verstehe Dich ja, dass Du jetzt am liebsten etwas verändern würdest...", beginnt die Mutter. "Aber bei den drei anderen Tests... warum hast Du Dir da nicht dieselben Gedanken gemacht? Du wolltest zwar Geschenke austauschen, bist damals aber nicht auf die Idee gekommen, Deine Playstation aufzugeben, sodass wir als Ausgleich nach Frankreich fliegen könnten... Warum nicht?"

Sie wartet die Antwort der Tochter, die vielleicht nie gekommen wäre, nicht ab, sondern fährt fort: "Weil Dir das Ergebnis gefallen hat. Die Note war gut - oder zumindest gut genug - und Du hast Dich über das Geschenk gefreut, das Du bekommen wirst..."

"Aber hast Du mal darüber nachgedacht, was das für UNS bedeutet? Nimm's mir nicht übel, aber ich glaube nicht, dass Du Dir allzu viele Gedanken darüber gemacht hast, wie teuer Deine Wünsche werden könnten."

"Die Playstation, der Shoppingtrip, die Fahrt ins Death Valley... all das wird uns jeweils ein paar hundert Dollar kosten! Die Reise nach Frankreich wäre viel teurer gewesen. Und doch waren Papa und ich bereit, Dir den Urlaub zu bezahlen. Und die Playstation. Und den Einkaufsbummel. Und die unauffälligen Zahnspangen."

Rosas Mund öffnet sich für eine Erwiderung, doch es kommt nichts raus. Als sie den Mund wieder schließt, spürt sie einen Kloß im Hals.

Die Mutter lacht leicht: "Du brauchst keine Angst zu haben, dass Du uns in den Ruin gestürzt hättest. Wir haben genug Geld dafür. Sonst hätten wir Dir ja auch die Universität nicht bezahlen können..."

"Und wir geben Dir die Dinge ja auch gerne. Wir freuen uns doch mit Dir darüber, dass Du nach Bedford gehen kannst. Außerdem... ein Teil davon ist ja auch Dein Geburtstagsgeschenk... trotzdem. Das ist eine Menge Geld, die wir nicht einfach mal so aus der Portokasse bezahlen können... SO reich sind wir nicht!"

"Und doch haben wir es gerne gemacht. Ohne zu Murren und ohne etwas ändern zu wollen, weil es uns vielleicht zu teuer werden würde. Sei mal ganz ehrlich zu Dir: Was hättest Du gesagt, wenn Du stolz mit einem 'A' heimgekommen wärst und wir dann zu Dir gesagt hätten: 'Nein, machen wir nicht. Du bekommst keine Playstation, die ist uns doch zu teuer' Wie hättest Du da reagiert?"

Der Kloß im Hals wird größer, Rosa presst ihre Lippen aufeinander. Am liebsten würde sie sich die Ohren zuhalten.

"Weißt Du, Schatz, wenn WIR UNSEREN Teil einhalten: Wenn wir bereit sind, so eine Menge Geld für Dich in die Hand zu nehmen, findest Du nicht auch, dass wir im Gegenzug das Recht haben, zu erwarten, dass DU auch DEINEN Teil einhältst?"

"Ja, es würde für uns billiger werden, wenn Du plötzlich auf Deine Geschenke verzichten würdest. Aber darum geht es doch gar nicht, Schatz! Fühlst Du Dich wirklich ungerecht behandelt, wenn wir Dich bitten, dass Du Dich an die Sachen hältst, die wir gemeinsam ausgemacht haben? Dass Du - genau wie wir - die Verabredung anerkennst? "



Rosa blinzelt schnell. Nein, sie will jetzt nicht wieder anfangen, zu flennen. Sie vertreibt die aufsteigende Feuchtigkeit aus ihren Augen.

Das... das war gemein. Ihre Mutter hat ihr so richtig mit der großen Moralkeule mitten auf den Kopf geprügelt. Hätte sie es nicht anders formulieren können? Weniger anklagend?

Aber... das hätte auch nichts an der Aussage an sich geändert: Rosalynn hatte die Geschenke wirklich schnell angenommen. Natürlich hatte sie sich bei ihren Eltern dafür bedankt. Und sie hatte sich auch ehrlich darüber gefreut.

Aber... sie hatte auch nicht viel darüber nachgedacht. Warum auch? Sie hatten doch ausgemacht: Die Eltern waren doch einverstanden ihre Geschenke zu bezahlen. Warum soll sie sich da jetzt noch groß Gedanken darüber machen?

Zugegeben, es ist eigentlich auch nicht die Pflicht der Kinder, sich über solche Dinge großartig den Kopf zu zerbrechen. Es ist schließlich "Aufgabe" der Eltern, für ihre Kinder zu sorgen. Sorgen um finanzielle Dinge abseits des eigenen Taschengeldes sollte nichts sein, was den Kindern aufgebürdet werden muss.

Zumindest so lange, wie die Kinder nicht vier teure Geschenke von den Eltern "fordern"!

Aber das Mädchen hatte sich überhaupt keine Gedanken gemacht, was sie von ihren Eltern verlangt, als sie sich ausgemalt hatte, was sie sich alles wünschen könnte: Sie hatte schließlich mit ihren Eltern diskutiert, welches Tablet genau sie sich raussuchen dürfe zusätzlich zu ihrer Playstation. Denn Rosa hatte schon ein Auge auf ein nicht gerade billiges iPad geworfen. Und welche Route für den Einkaufsbummel sie durch die Innenstadt gehen wollte, hatte sie auch schon geplant.

All das, ohne darüber nachzudenken, wie viel das genau kostet oder wie lange ihre Eltern dafür arbeiten müssten.

Wohlgemerkt: Ihre Mutter hatte sie durchaus zu einem Einkaufsbummel eingeladen. Es ist also nicht so, dass Rosa ihren Eltern alles aus der Tasche geleiert hatte. Aber sie hatte fleißig Argumente bemüht, warum es schön wäre, für jede der vier Prüfungen eine eigene Belohnung zu bekommen.



"Ich sehe, Du verstehst, was ich meine", meldet sich die Mutter wieder. Sie ist nicht böse, grantig oder enttäuscht. Stattdessen freundlich, liebevoll und mitfühlend. Aber auch unnachgiebig.

Ein hartes Lachen aus Rosas Kehle: "Weißt Du, Mama, das hat Herr Klyne gestern auch gesagt: Er darf mir keine bessere Note geben, weil, das nicht fair den Anderen gegenüber wäre... Und jetzt kommt Ihr auch damit an..." Ein langes Seufzen.

Die Ellenbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in den Händen verborgen. So ähnlich saß sie gestern Mittag schon da. Nur mit dem Unterschied, dass JETZT die Sache nicht ganz so schlimm für sie ist. JETZT steht nicht ihre gesamte "schulische Laufbahn" auf der Kippe, sondern es geht "nur" darum, ob sie sich mit so einer blöden Außenspange abfinden kann.

Nicht, dass sie wirklich noch eine Wahl hat.

Da ist es wieder, dieses seltsame Gefühl: Dieses seltsame Drücken in der Magengegend; so als ob ihr gleich übel werden würde, ohne dass es jemals wirklich so weit kommt.

Das gleiche Gefühl, das sie gestern auch schon hatte, als sie mit Herrn Klyne geredet hatte: Nachdem Rosa verstanden hatte, dass sie keine zweite Chance bekommen wird; dass sie den Test nicht wiederholen darf.

Genau SO fühlt sie sich jetzt wieder: Das Gefühl, verstanden zu haben, dass die Chance, das Ruder herumzureißen, verstrichen ist. Dass es NIE eine Chance gegeben hatte, das Ruder herumzureißen. Dass der einzige Ausweg darin besteht, das zu akzeptieren, was auf einen wartet.

Und am schlimmsten: Das Gefühl, verstanden zu haben, dass die eigenen Argumente nicht viel wert sind und dass die Anderen Recht haben.



EINE "Hoffnung" hat sie aber noch: Auch wenn sie den UPT nicht wiederholen durfte, hatte sie dennoch die Zugangsvoraussetzungen zu ihrer Wunsch-Universität geschafft. Am Schluss war es also gar nicht so schlimm gekommen wie anfangs befürchtet.

Vielleicht - hoffentlich - gilt das auch bei ihrer Spangen-Situation? Vielleicht muss sie ihr Headgear gar nicht so lange tragen? Und vielleicht hat ihre Mutter Recht und ein Headgear ist gar nicht mal SO schlimm wie sie sich das derzeit ausmalt?



Rosas Kopf hebt sich, ein resigniertes Lächeln auf dem Gesicht: "Aus dem Headgear komme ich nicht mehr raus, oder?"

Sie muss das Kopfschütteln der Eltern nicht abwarten, um die Antwort zu kennen. Rosa seufzt:

"F bedeutet Headgear!"


ENDE

Das ist das ursprüngliche Ende. Einige Zeit später habe ich mich doch noch hinreißen lassen, eine 3-Kapitel-Fortsetzung zu schreiben. Doch für mich persönlich ist die Geschichte weiterhin an dieser Stelle beendet, denn die Fortsetzung gefällt mir nicht übermäßig.

Ich werde die Fortsetzung dennoch hier veröffentlichen. Mich würde Eure Meinung dazu aber sehr interessieren, ob die Fortsetzung wert war, veröffentlicht zu werden


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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #13 on: 11. June 2022, 19:24:00 PM »
Teil 3 - Ein Blick in die Zukunft

Kapitel 14/16

Am Montagnachmittag bekommt Rosa in der Schule ihr Zeugnis. Herr Klyne hatte es ihr versprochen, es aber jetzt so schwarz auf weiß auf dem Zeugnis zu sehen, ist dann doch nochmal eine andere Sache: Das 'A' In Geschichte treibt ihr ein breites - und extrem erleichtertes - Grinsen ins Gesicht. Auch wenn es keinen Zweifel daran gab, jetzt ist es so richtig offiziell: Sie hat die Zugangsvoraussetzungen geschafft.

Gleichzeitig bekommt sie auch die UPT-Notenübersicht und zu ihrem Erstaunen auch schon einen ausgefüllten Bewerbungsbogen, den sie braucht, um bei Bedford aufgenommen zu werden. Mit den 81%, die sie erreicht hat, ist diese "Bewerbung" nur eine Formalität; dennoch müssen die Unterlagen zeitnah abgeschickt werden.

Ein paar Tage später kommt die erhoffte Antwort von Bedford zurück. Rosa hatte sich selbst beinahe wahnsinnig gemacht in ihrer Sorge, dass sie trotz der überwundenen Hürde vielleicht doch nicht akzeptiert werden könnte. Vielleicht nimmt Bedford dann doch keine Schüler, die in einem Teil des UPT durchgefallen waren? Oder es haben sich in diesem Jahr so viele Leute beworben, dass die Grenze auf 85% angehoben worden war? Oder vielleicht... Doch ihre Sorge ist unbegründet: Ihre Bewerbung wurde akzeptiert, sie wurde für das kommende Jahr an der Uni eingeschrieben.

Gleich mitgeliefert wird ihr Stundenplan für das kommende Semester und eine Liste von "freiwilligen" Zusatz-Kursen, die sie belegen kann. Mit der Bitte, sich zeitnah zu entscheiden, denn manche Kurse seien sehr begehrt.

Einige Kurse klingen sehr interessant, besonders ein Kurs über die amerikanische Geschichte hat es ihr angetan. Sie kann nur hoffen, dass er nicht schon ausgebucht sein wird, bevor ihre Unterlagen wieder bei Bedford eintreffen.

Ein paar Tage später kommt die Antwort: Und die fällt aus wie erhofft: Sie kann die "amerikanische Geschichte" hören; und auch fast alle anderen, für die sie sich eingetragen hatte. Nur ein Kunstkurs war schon ausgebucht... halb so wild.



Nur kann sie sich an dem Tag nicht so richtig darüber freuen. Denn es gibt etwas, das ihre Freude gehörig dämpft: Dummerweise kommen die Unterlagen von Bedford nämlich an demselben Tag zurück, an dem sie einen Termin bei Dr. Coleman hat. Ihre Eltern hatten Nägel mit Köpfen gemacht und schnell einen Termin beim Kieferorthopäden ausgemacht, bevor sich ihr Töchterchen eventuell wieder umentscheiden und ihre Einwilligung zurückziehen könnte.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Rosa jetzt feste Spangen und Headgear trägt. SO schnell geht das nicht. Das war nur ein Termin, bei dem Vorbereitungen getroffen und letzte Sachen besprochen wurden. Mit anderen Worten: Rosa hat noch eine Galgenfrist, doch darüber freuen kann sie sich nicht wirklich.

Denn diese Galgenfrist ist gerade einmal drei Wochen lang. Dr. Coleman hielt es für geraten, zeitnah mit der Behandlung zu beginnen. Dass es so schnell ging, hatte auch die Eltern überrascht. Aber warum nicht? Schließlich hatte ihre Tochter ja selber zugestimmt, dass sie die Behandlung über sich ergehen lassen will.

Um es ganz klar zu machen: Rosa hat absolut kein Problem damit, die festen Spangen zu bekommen. Warum auch? Fast alle in ihrer Klasse haben - oder hatten (in Amys Fall) - feste Spangen. DAS ist nichts Besonderes!

Dummerweise hatte Dr. Coleman jedoch nochmal nachdrücklich bestätigt, dass sie zwingend eine Außenspange brauche. Zumindest solange sie sich nicht für dessen teurere Alternative entscheide. Und die Eltern hatten nochmal klargemacht, dass sie sich an die getroffene Vereinbarung halten und daher die Extrakosten der SUS NICHT übernehmen würden.

Rosa hatte gute Lust gehabt, hinter dem Rücken der Eltern eine Verabredung mit dem Kieferorthopäden zu schließen, dass sie selbst für die Mehrkosten der SUS aufkommen würde. Doch ein Blick in ihr Sparschwein hatte dem ganz schnell ein Ende gesetzt. Außer Spinnweben war nicht viel drin. Und Dr. Coleman würde sicherlich nicht zu einer fünf Dollar pro Monat Ratenzahlung zustimmen.



Eine Woche später gehen Mutter und Tochter zusammen in der Innenstadt einkaufen. Der Vater hatte darum gebeten, zuhause bleiben zu dürfen. Er würde liebend gerne mit seiner Tochter in den nächsten Baumarkt gehen... aber er würde es nicht aushalten, stundenlang durch Kleidergeschäfte tingeln zu müssen. Lachend sind seine zwei Damen somit alleine davongezogen. Und nach erstaunlich kurzer Zeit bereits zurückgekommen:

Rosa ist in einem kleinen Kleidergeschäft über eine "Kollektion" gestolpert, die ihr absolut gefallen hatte. Sobald sie diese Kleidung gesehen hatte, war sie hin und weg und wusste, was sie haben wollte. Auch der Mutter haben diese Kleidungsstücke zugesagt.

Das Dumme ist nur, dass diese Kollektion teurer ist als ein einfaches Shirt von H&M. Nicht himmelschreiend-teuer, aber doch teuer genug, dass die Mutter eine "Warnung" aussprechen muss: Sie würde ihrer Tochter gerne den Wunsch erfüllen, aber Rosa müsse verstehen, dass sich damit das Budget deutlich schneller erschöpfen würde. Dem Teenager war das recht. Solange sie das bekommen könnte, worin sie sich in der Umkleidekabine verliebt hat, ist es ihr egal, wenn ihr Shoppingtrip in diesem Geschäft beginnt und endet.

Und so tauchen die beiden Damen schneller als erwartet wieder zuhause auf. "Aber weißt Du, Mama, ich bin froh, dass ich den Einkaufstrip wirklich schon vor Wochen durchgeplant hatte. Sonst wären wir wohl nie dorthin gegangen."

Die Mutter nickt. Sie war erstaunt gewesen, von der Tochter in diesen kleinen - deutlich abseits liegenden - Laden geführt zu werden. Aber es hatte sich gelohnt und das ist die Hauptsache.



Zwei Wochen später ist die Galgenfrist abgelaufen und Rosa bekommt ihre Zahnspangen: Feste Spangen und Headgear in einem Aufwasch. Normalerweise würde er mit der Außenspange nicht bei demselben Termin beginnen, bei dem er die festen Spangen setzt, erklärt Dr. Coleman. Aber weil Rosalynn ohnehin relativ spät mit der Behandlung starte und sich der Behandlungsstart obendrein noch ein Jahr herausgezögert hatte, habe er sich dazu entschlossen, dieses Mal Nägel mit Köpfen zu machen.

Und jetzt sitzt Rosa zusammen mit ihren Eltern im Wohnzimmer, schaut geknickt aus der Wäsche und muss versuchen, sich an ihre neuen "Accessoires" zu gewöhnen. Nicht nur hat sie das Gefühl, dass die scharfkantigen Brackets ihre Lippen aufschneiden. Der lästige Metallbogen, den sie aus den Augenwinkeln sehen kann, scheint ihr auch bei jeder kleinen Kopfbewegung die Backenzähne rausreißen zu wollen. Und sie bildet sich ein, von dem Druck im Nacken Kopfschmerzen zu bekommen!

Und Dr. Coleman hatte anklingen lassen, dass es in den ersten Tagen nochmal schlimmer werden werde mit den Schmerzen und so, bevor sich dann alles zum besseren wende.

Ihre Eltern haben zwar jede Menge Mitleid mit ihrem Sprössling, stellen jedoch noch einmal klar, dass Rosa dem Ganzen erst einmal eine "faire Chance" geben muss, bevor sie darüber reden dürfe, wie sehr sie ihre neuen Spangen hasse.



Darüber vergeht eine Woche.

Rosa ist wirklich erleichtert darüber, wie "nachsichtig" ihre Mutter ist. Dr. Coleman hatte nämlich unter Anderem angedeutet, dass es wichtig für Rosa wäre, sich so schnell wie möglich daran zu gewöhnen, mit der Außenspange zu schlafen. Das wäre wirklich wichtig, um die Tragezeiten einhalten zu können.

In der ersten Nacht seufzt Rosa: "Mal sehen, wie die Nacht mit dem Teil wird...", dann löscht sie das Licht. Wenigstens haben die Ferien begonnen. Es ist also nicht so, dass sie morgen früh erholt aufstehen müsste, um einen langen anstrengenden Schultag ertragen zu können.

Und doch hatte Rosa Problem, zu schlafen. Sogar größere Probleme, als sie selbst befürchtet hatte. Der Metallbogen war irgendwie immer im Weg. Egal, wie sie ihre Kissen zusammengeknüllt hatte, der Außenbogen hatte immer schmerzhaft an den Zähnen gezogen oder sich unangenehm in ihre Wange gedrückt. Mitten in der Nacht hatte sie schließlich verzweifelt - und den Tränen nahe - die Außenspange herausgenommen.

Sie hatte am nächsten Morgen der Mutter ihr Leid geklagt. Dabei hatte sie halb erwartet, dass die Eltern sich auf die Seite des Kieferorthopädens stellen. Doch stattdessen hatte ihre Mutter gesagt: "Das hätte mich auch sehr gewundert, wenn es auf Anhieb geklappt hätte. Ich weiß noch: Bei mir war es damals auch nicht leicht! Ich hatte auch einige Tage gebraucht, mich an den Bogen zu gewöhnen."

"Ich verstehe durchaus, warum Dr. Coleman will, dass Du mit der Spange schläfst. Aber ich glaube auch, dass er es sich etwas sehr leicht macht, wenn er so lapidar sagt, dass Du Dich 'so schnell wie möglich' daran gewöhnen sollst."

Sie nimmt ihre niedergeschlagene - und übermüdete - Tochter in den Arm: "Nimm Dir die Sache nicht zu Herzen. Versuch's heute Nacht einfach noch mal. Und wenn's nicht klappt, dann machst Du die Spange einfach wieder raus. Es bringt absolut nichts, Dich verrückt zu machen! Damit machst Du Dir das Leben nur unnötig schwer. OK?"

Dankbar und erleichtert nickt Rosa. Sie hasst dieses seltsam gebogene Stück Metalldraht. Und wenn ihre Eltern schon darauf bestehen, dass sie das Teil tragen soll, ist es doch gut zu wissen, dass sie wenigstens mit Anteilnahme und Rücksicht rechnen darf. Dass sie nicht gedrängelt wird, sondern sich in ihrer eigenen Geschwindigkeit an das nervige Behandlungsgerät gewöhnen darf.



So vergeht eine zweite Woche.

Sie trifft sich regelmäßig mit LaToya und Amy. Und auch Mike. Denn in ein paar Wochen werden sie schließlich getrennte Wege gehen. Rosalynn, LaToya, Amy, Mike: Vier Freunde, vier verschiedene weitere Lebenswege. Und die Vier machen sich nicht viele Hoffnungen. Auch wenn sie in der High School recht viel zusammen unternommen hatten, ist doch klar, dass ihre Freundschaft nicht so tief ist, dass sie eine ständige Trennung überleben könnte. Die Vier werden sich vielleicht noch ein paar Mal sehen und von dann ab getrennte Wege gehen. Schade ist das schon... aber das ist nun einmal der Lauf des Lebens.

Vielleicht kommt es daher: Vielleicht ist es so eine Art skurriles Abschiedsgeschenk... oder vielleicht will sie noch einmal Zuspruch von den Leuten, die sie als ihre Freunde bezeichnet. Wer weiß! Auf jeden Fall "gesteht" Rosa eines Tages, als sie mit LaToya und Amy durch die Innenstadt schlendert und ein Eis schleckt, dass sie seit ein paar Tagen zu den Zaumzeug-Trägern gehört.

Das Dumme ist nur, dass ihre Freundinnen nicht verstehen, was Rosa ihnen damit sagen will und stattdessen denken, dass sie begonnen habe, zu reiten. Und so sind die beiden verwundert, dass das Mädchen neben ihnen beginnt, hysterisch zu lachen. Erst nachdem sie sich wieder beruhigt hatte - und die Eiswaffel gegessen war - klärt Rosa das Missverständnis auf: Mit hochrotem Kopf zieht sie den flachen Beutel aus dem Rucksack und zeigt ihren Freundinnen die Außenspange.

So viel aber LaToya und Amy ihre Freundin necken und gleichzeitig auch ermuntern, Rosa lässt sich absolut nicht dazu bewegen, die Außenspange mal anzulegen. Auch nicht für einen kurzen Augenblick. "Seid Ihr verrückt? Wir sind hier mitten in der Innenstadt! Tausende Leute um uns herum! Ich würde sterben!"

Das ist zwar sicher übertrieben, aber die beiden Mädchen verstehen durchaus, warum ihre Freundin nicht mit silbern glitzerndem Metallbogen in der überfüllten Einkaufspassage herumlaufen will.



Ein paar Tage später sollten sie aber dann doch die "Chance" erhalten, sich in gutmütiger Weise über ihre Freundin lustig zu machen. Denn Rosa hat die beiden - und Mike - zu sich nach Hause eingeladen. Die Ferien sind bald zu Ende und das jetzt könnte vielleicht das letzte Mal sein, dass sie sich in den nächsten Jahren sehen...

Und doch sind die drei draußen Wartenden erstaunt, als Rosa die Türe öffnet. Sie sieht so aus wie immer - beinahe zumindest. Nur der Metallbogen auf Höhe des Mundes macht den Eindruck zunichte. Vor allem Mike, der bisher noch nichts von der Außenspange wusste, macht große Augen. "Das mach' ich aber nur, weil IHR es seid. Glaubt ja nicht, dass ich mein Zimmer mit dem Teil verlassen hätte, wenn jemand anderes an der Türe gewesen wäre!"

An dem Tag gibt es zwischen den Freunden drei große Gesprächsthemen:

Erstens: Die vergangenen drei Jahre, wie sie sich zu Beginn der High School kennengelernt hatten und was sie in dieser Zeit so alles erlebt hatten.

Zweitens: Die kommenden Jahre: Welche Hoffnungen sie haben und wie ihre Pläne aussehen. LaToya will studieren, um eines Tages Anwältin zu werden. Mike will so bald wie möglich in den Betrieb seines Vaters einsteigen. Amy will erst einmal eine Auszeit einlegen und während dessen "irgendwas Soziales" machen. Und dann vielleicht Schriftstellerin werden? Und Rosa hat noch keine Ahnung, was sie machen will. Natürlich abgesehen davon, nach Bedford zu gehen.

Und natürlich - wie könnte es anders sein - drittens: Rosas Außenspange. Sie muss erzählen, wie sie dazu kommt, wie lange sie es schon tragen muss, wie sie sich inzwischen daran gewöhnt hat und jede Menge weiterer Dinge. Und sie muss sich auch damit abfinden, immer wieder das Ziel gutmütigen Spotts ihrer Freunde zu werden.

Letztendlich trägt sie den Metallbogen für knapp zwei Stunden, bis der Vater ruft, dass der Grill angeschürt ist. Nach dem Essen winkt sie ab: "Hab keine Lust, das dämliche Ding jetzt wieder reinzumachen. Es reicht, wenn ich es heute Nacht wieder trage!"

Sie erfährt auch, dass LaToya beinahe auch eine Außenspange irgendeiner Art hätte tragen müssen. Dass ihr Kieferorthopäde dann aber doch einen Weg daran vorbei gewählt hatte. "Bah, ich bin so neidisch", ist Rosas Antwort.

Der Abschied an diesem Tag fällt allen Vieren nicht leicht.


Wieder vergehen einige Wochen.

Zu sagen, dass es im Lauf der Wochen "selbstverständlich" geworden ist, ist weit übertrieben, aber Rosa trägt ihr Headgear inzwischen abends ohne Murren. Und sie hat auch gelernt, damit zu schlafen.

Die Mutter hatte vor wenigen Tagen begonnen, ihre Tochter ganz sanft zu ermahnen, die Außenspange am besten nicht erst nach dem Abendessen anzulegen. Nachdem sie nun ihre Spangen seit einigen Wochen trägt, sei sie - zumindest laut der Mutter - inzwischen bereit dafür, dass sie vorsichtig daran erinnert werden dürfe.

Um vollkommen fair zu sein: Rosa muss nicht häufig dazu aufgefordert werden. Vielmehr setzt sie sich das Headgear meistens freiwillig ein. Und das häufig nicht erst am Abend. Stattdessen trägt sie es über den Tag verteilt immer wieder mal. Mit anderen Worten: Sie arbeitet schon ziemlich gut mit.

Und doch muss das Mädchen auch zugeben, dass sie den Metallbogen in der Tat tagsüber weniger konsequent trägt als abends und nachts. Wenn sie sich überwinden könnte, die Außenspange tagsüber genauso regelmäßig zu tragen wie abends, dann wäre alles in Butter; dann gäbe es absolut nichts zu meckern.

Aber um auch der Mutter Gerechtigkeit zu tun: Sie ist bei ihren Erinnerungen nicht drängelnd oder mahnend, stattdessen bleibt sie freundlich und liebevoll. Denn sie versteht durchaus, dass es ihre Tochter immer noch Überwindung kostet, die Außenspange zu tragen.

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #14 on: 12. June 2022, 18:15:35 PM »
Kapitel 15/16

Rosa hat keine Ahnung, warum sie von ihren Eltern gebeten wurde, sich heute Abend mit ihnen im Wohnzimmer zusammen zu setzen. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass der "Ernst des Lebens" bald über ihr hereinbricht? Wollen die Eltern sie ermahnen, sich in der neuen Uni von ihrer besten Seite zu zeigen?

Das Mädchen sollte sich getäuscht haben, denn die Eltern machen ihr stattdessen einen Vorschlag: Sie hätten sich miteinander besprochen und würden ihrer Tochter gerne ein Angebot unterbreiten:

Vor einigen Wochen, als sie ihre Spangen bekommen hatte, habe sich Rosa vorbildlich verhalten. Es sei deutlich sichtbar gewesen, dass sie von ihren Spangen in den ersten Tagen sehr wenig angetan gewesen sei - Rosa streckt ihren Eltern die Zunge raus - und dennoch habe sie damals ihre Außenspange ohne Murren getragen. Und das habe sich auch in den letzten Wochen nicht geändert.

Das verdiene Respekt, erklärt ihre Mutter: "Du machst nämlich viel besser mit, als ich insgeheim befürchtet hatte. Ich gestehe, Du machst sogar besser mit als ich gehofft hatte. Ich bin direkt ein bisschen stolz auf Dich!"

Rosalynn kann nicht verhindern, dass sich ihre Mundwinkel zu einem geschmeichelten Grinsen verziehen und ihre Wangen rot werden. "Weißt Du, Mama, das schlimmste war, als ich die Außenspange zuhause zum ersten Mal reinmachen sollte. Als ich einsehen musste, dass es kein Alptraum war, dass Dr. Coleman mir den Bogen mitgegeben hatte. Dass ich jetzt wirklich so ein blödes Gestell tragen muss und dass das jetzt auch für ein paar Monate so bleiben wird..."

Dieser Metallbogen um ihr Gesicht und das Polster am Hinterkopf hatten in der Tat in den ersten Tagen ungemein genervt. Der Zug an den Backenzähnen; das ständige Gefühl, etwas zwischen den Lippen zu haben; der Druck im Nacken und das Glitzern in den Augenwinkeln: All das hatte sich absolut schrecklich und ungewohnt angefühlt.

Dann lacht Rosa; ihre Hände spielen mit den Fransen eines Sofakissens. "Die erste Nacht damit war aber noch tausend Mal schlimmer. Oh man, hatte ich das GEHASST!"

Ihre Eltern nicken und ihr Vater erwidert beinahe sanft: "Und doch hast Du die Spange weiterhin getragen ohne dass wir Dich großartig ermahnen mussten und Du hast sie auch in der zweiten Nacht wieder reingemacht!"

Rosa läuft rot an, als sie zugeben muss: "Aber nur aus einem Grund: Ich hab' nur deswegen weiter gemacht, weil Mama als Kind auch so ein Teil getragen hatte. Und weil sie mir versprochen hatte, dass es nicht so schlimm werden würde, wie ich es mir vorstelle..." Wieder lacht sie, ein hartes Lachen: "Und in den ersten Tagen war alles ZIEMLICH sch***e. Ich hatte WIRKLICH gehofft, dass Mama Recht behält."

Dann zuckt sie mit den Schultern und wendet sich direkt an ihre Mutter: "Und ich war bereit - also WIRKLICH bereit - Dir die ganze Sache um die Ohren zu hauen, wenn es nach ein paar Tagen noch NICHT besser geworden wäre..."

"Da habe ich ja Glück gehabt", lächelt die Mutter. Und der Vater setzt hinzu: "Nachdem Du keinen Wutanfall hattest, können wir wohl davon ausgehen, dass es inzwischen tatsächlich besser geworden ist, nicht wahr?"

"Ein kleines bisschen". Dann lächelt sie und schnippt als Antwort ihren Zeigefinger gegen den silbernen Metallbogen, der sich in diesem Moment um ihr Gesicht spannt. "Trag' ich das Ding jetzt oder nicht?"



Die ersten Stunden und Tage waren wirklich schlimm. Und gleichzeitig doch irgendwie auch weniger schlimm als sie befürchtet hatte. Und dafür gibt es zwei Gründe: Ihre Mutter und ihre Freunde. Denn beide hatten auf ihre jeweilige Weise erklärt, dass es zwar anfangs blöde sei, sie sich aber an die Spangen gewöhnen könne. Und diese Versicherungen - von zwei unterschiedlichen und unabhängigen Seiten - hatten ihr geholfen, die Nerven zu behalten.

Ein Blick zurück: Sie hat ihre Spangen erst vor wenigen Stunden bekommen. Sie sitzt an ihrer - neuen - Spielekonsole und versucht, sich auf das Spiel zu konzentrieren. Doch das fällt ihr schwer, denn der Druck auf die Backenzähne ist ungewohnt und unangenehm.

Aber noch nicht wirklich schlimm. Und die festen Spangen beginnen gerade erst, die restlichen Zähne empfindlich zu machen. Der Kieferorthopäde hatte zwar gewarnt, dass es in den nächsten Stunden und Tagen schlimmer werden werde, bevor es besser werde, doch - zumindest momentan - ist es noch aushaltbar!

Die Reflektionen des silbernen Bogens aus den Augenwinkeln zu sehen; das Gefühl, ständig etwas zwischen den Lippen zu haben und der Druck des Nackenpads am Hals; all das ist für das Mädchen - zumindest derzeit - deutlich nerviger als die einsetzenden Zahnschmerzen. Doch selbst das kann sie mehr-oder-minder ignorieren, solange sie von dem Spiel abgelenkt wird.

Eine andere Sache ist noch viel schlimmer als alle der bisherigen Dinge zusammengenommen:

Denn so wie sich ihre Lippen und Wangen anfühlen, müssen sie inzwischen von den scharfkantigen Brackets zerfetzt und in Stücke geschnitten worden sein. Das ist deutlich schlimmer, als sie sich das vorgestellt hatte, trotz des ganzen Wachses, das sie auf die Brackets schmiert.

Danach gefragt, wie es sich anfühle, Spangen zu bekommen, hatten ihre Freunde in der Schule sie genau davor gewarnt. Und hatten ihr jedoch auch gleichzeitig versprochen, dass sie sich an das Pieksen schnell gewöhnen werde. In ein paar Tagen sei es schon deutlich besser und spätestens in ein paar Wochen wird sie sogar ganz vergessen haben, dass sie überhaupt feste Spangen trägt. Für das Mädchen klingt das zwar noch wie ein Märchen, aber Rosa will ihren Freunden glauben. Schließlich haben die schon länger feste Spangen und wissen, wovon sie reden.

Das Dumme ist nur, dass ihre Freunde ihr beim "Zaumzeug-Thema" nicht weiterhelfen können. Erstens weil sie ihren Freunden damals noch nicht verraten hatte, dass sie so ein Teil tragen muss und zweitens, weil niemand von denen - soweit sie weiß - so ein Teil tragen musste.

Es gibt aber jemanden, der Erfahrungen aus erster Hand hat: Ihre MUTTER musste als Kind so ein Behandlungsgerät über sich ergehen lassen! Und hatte ihre Mutter ihr nicht mehrfach versprochen, dass es nicht so schlimm werden würde? Und sie muss es doch wissen! Natürlich - ganz klar - will die Mutter ihre Tochter nicht verrückt machen und wird ihr deshalb nicht "alles" erzählen, aber... aber Rosa will ihrer trotzdem Mutter glauben.

Wenn ihre Freunde versprochen haben, dass sie sich schnell und ohne Probleme an ihre festen Spangen gewöhnen werde und wenn die Mutter versprochen hat, dass sie sich auch an die Außenspange gewöhnen könne...

Die festen Spangen sind zwar weniger auffällig als das Headgear, aber in dem Moment nicht weniger unangenehm! Momentan fühlt sich alles in ihrem Mund spitz und scharfkantig an, alles ist neu und unangenehm. Der "dumpfe" Druck im Nacken ist sogar noch besser aushaltbar als das Stechen der Drähte ihrer festen Spange. Momentan ist alles einfach schrecklich! Es ist kaum auszumachen, wo die festen Spangen enden und die Außenspange beginnt... Alles "verschmilzt" einfach zu einem "Mund voll Zahnspangen".

Aber wenn sie sich an den EINEN Teil ihrer Spangen gewöhnen kann - und Rosa hat keinen Zweifel, dass sie sich an die festen Spangen gewöhnen WIRD - warum dann nicht auch an den ANDEREN? Vielleicht - hoffentlich - ist das nervige Gefühl, den Metallbogen zwischen den Lippen zu spüren, in ein paar Wochen genauso normal für sie, wie es bis dahin die festen Spangen sein werden?



Zurück im Hier und Jetzt: Rosa fährt geistesabwesend mit einer Hand durch ihr Haar. Sie hatte sich vor ein paar Wochen vorgenommen, ihr Haar wachsen zu lassen, um zumindest einen Teil der Außenspange darunter verstecken zu können.

Als sie ihre Spangen bekommen hatte, war es noch nicht lang genug, um das blaue Nacken-Polster zu verbergen. Auch jetzt reicht es noch nicht ganz, sie ist aber auf dem besten Weg dorthin. In ein paar Wochen wird es endlich lang genug dafür gewachsen sein!

Nicht dass es ihr viel bringen wird, denn Rosa hat absolut kein Bedürfnis, ihre Außenspange "draußen" zu tragen. Ihre Mutter hatte gesagt, dass es reiche, wenn sie die Spange zuhause trage und Rosa hat vor, sich daran zu halten. Außer ihren Eltern - und ihren drei Freunden aus der High School - wird niemand sie damit sehen.

Sie hätte ihr Haar also eigentlich nicht wachsen lassen müssen. Und doch ist es irgendwie "beruhigend", zu wissen, dass - im Zweifelsfall - in ein paar Wochen niemand mehr erkennen kann, dass sie eine Außenspange tragen muss. Zumindest von hinten. Das hilft leider nichts gegen Blicke von der Seite oder von vorne. Das Nackenpolster lässt sich verbergen, der silberne Bogen jedoch nicht.

Aber wie gesagt: Sie hat sowieso nicht vor, die Außenspange dort zu tragen, wo sie auf "fremde Leute" treffen könnte. Von daher ist alles halb so wild!



Als die Mutter weiterspricht, unterbricht sie den Gedankengang ihrer Tochter: "Wir würden Dir gerne etwas vorschlagen: Du hast in den letzten Wochen so gut mitgearbeitet; Du hast so ernsthaft versucht, Dich an Deine Außenspange zu gewöhnen... Wir sind der Meinung, dass das nicht selbstverständlich ist und dass das eine Belohnung wert ist. Was meinst Du?"

Lynns Mundwinkel deuten nach oben. Sie freut sich ungemein. Weniger über die angedeutete Belohnung und mehr über das Lob, das ihre Eltern ausgesprochen haben. Sie hatte WIRKLICH ernsthaft versucht, sich mit ihrem Zaumzeug anzufreunden. Das ist etwas, das sie selbst von sich nie erwartet hätte. Dass das von ihren Eltern erkannt und honoriert wird, bedeutet ihr viel. Gleichzeitig ist sie natürlich auch neugierig, was sich die Eltern unter einer passenden "Belohnung" vorstellen.

"Weißt Du, Rosa", beginnt die Mutter: "Wir haben schon gemerkt, dass Du enttäuscht warst, als Du im UPT nicht die passende Note geschrieben hattest für den Urlaub in Frankreich. Du hattest uns deswegen gebeten, Belohnungen durchtauschen zu dürfen. Das hatten wir ja damals abgelehnt, wie Du sicher noch weißt."

Rosa verdreht die Augen: Und ob sie das noch weiß. Denn wenn ihre Eltern erlaubt hätten, dass sie sich für ihre geschriebenen Noten frei die Belohnungen aussuchen dürfte, würde sie nun ganz sicher NICHT mit einer Außenspange um den Kopf im Wohnzimmer sitzen.

Der Vater setzt an: "Wir sind nach wie vor der Meinung, dass das damals gerecht war: Wir haben etwas ausgemacht - Du und wir - und wir haben uns beide daran halten müssen - Du und wir." Er lächelt leicht: "Ja, ich gebe zu, das hatte für Dich die 'dumme' Konsequenz, dass Du keine unauffälligen Zahnspangen bekommen hast - aber Rosa - Du hast doch selber zugegeben, dass Du Dich inzwischen daran gewöhnt hast..."

Das Mädchen schüttelt ihren Kopf: "Gar nicht. Ich hab' mich garantiert NICHT an die dumme Außenspange gewöhnt!" Dann winkt sie ab, ein schmales Grinsen in ihrem Gesicht: "Aber... aber auf der anderen Seite ist es auch nicht GANZ SO schlimm geworden wie befürchtet..."

"Dann eben so", lächelt der Vater. "Was ich sagen wollte, war: Du hast Deine Playstation bekommen; Du warst shoppen und willst das neue Kleid am ersten Schultag in der Uni tragen. Und Du musst Dir - wie Du gerade zugegeben hast - nicht die Augen ausweinen über Deine Spangen. Mit anderen Worten: Bei drei von den vier Belohnungen hast Du keinen Grund zur Klage..."

"Bei der vierten auch nicht", wendet Rosa schnell ein. "Death Valley ist zwar nicht Frankreich, aber sicher auch die Reise wert!"

Sie will garantiert nicht undankbar erscheinen. Die "Standpauke", die ihre Eltern ihr vor einigen Wochen gehalten hatten, hatte ihren Zweck erfüllt: Inzwischen hatte sie nämlich so langsam aber sicher eingesehen, welche Kosten sie ihren Eltern verursacht hatte. Und dass sie sich mit ihren Wünschen vielleicht etwas weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Ihre Eltern nicken, sichtbar erfreut darüber, dass ihr Töchterchen vernünftig genug ist, das einzusehen.

"Das stimmt schon, Death Valley ist beeindruckend und ganz sicher eine Reise wert", stimmt der Vater zu. "Deswegen hatten wir es Dir ja damals auch vorgeschlagen."

"Aber weißt Du, Schatz", nimmt seine Frau den Faden auf: "Ich will Dir mal etwas verraten: Weißt Du, warum wir Dir als Gegenleistung für ein 'A' vorgeschlagen hatten, zusammen nach Frankreich zu fliegen?"

Rosa schüttelt ihren Kopf. Die Frage hatte sie sich noch nicht gestellt. Jetzt aber hört sie umso neugieriger zu. Ihre Eltern blicken sich an und für einen Moment schmelzen ihre Gesichtszüge; sie halten Hände und grinsen sich wie über beide Ohren verliebte Teenager an. Rosa bekommt große Augen: So kennt sie ihre Eltern gar nicht.

"Wir haben unsere Flitterwochen in Frankreich verbracht." erklärt der Vater, "Und wir hätten nichts dagegen, nochmal dorthin zu gehen." Und seine Frau setzt lächelnd hinzu: "Ich muss gestehen, wir waren - genauso wie Du - ein wenig enttäuscht, als Deine Note nicht für Frankreich gereicht hatte..."

"Meint Ihr das ernst?" Rosa starrt von ihrem Vater zu ihrer Mutter und zurück. Und als beide nicken, wirft sie ihren Kopf in den Nacken: "Meine Güte. Das ist doch wirklich dämlich! Wenn Ihr selber die ganze Zeit nach Frankreich gewollt habt, warum habt Ihr dann nicht diese dämlichen Regeln über Bord geworfen? Das wäre für uns alle einfacher gewesen." Sie greift nach dem Metallbogen: "Und ich hätte mich jetzt nicht DAMIT abfinden müssen..."

"Du weißt doch, Rosa", beginnt der Vater, doch seine Tochter unterbricht ihn: "Ja, ja, ich weiß: 'Regeln sind Regeln'!" Dann seufzt sie. "Aber jetzt will ich EUCH mal was sagen: Manchmal sind Regeln einfach nur dämlich!"

Ein weiterer Seufzer, lang und anhaltend. "Aber jetzt ist es sowieso zu spät. Jetzt hab' ich meine Außenspange und jetzt trag' ich sie auch so gut es geht! Alles andere macht keinen Sinn mehr! Soviel verstehe ich auch!"

Eine Sekunde vergeht, eine weite ebenfalls. Dann grinst sie breit: "Aber verstehe ich Euch richtig? Ihr wollt mir wirklich weißmachen, dass... dass wir nach Frankreich fliegen?"

"JETZT macht es keinen Sinn mehr, die Ferien sind ja schon vorbei", beschwichtigt der Vater. "Aber nächste Sommerferien? Klingt das brauchbar?"

Das Grinsen in Rosas Gesicht ist nur unwesentlich schmaler als der Metallbogen, den sie trägt. Begeistert klatscht sie in die Hände.

"Unter der Voraussetzung", wirft die Mutter ein: "dass Du Deine Außenspange weiterhin vorbildlich trägst. Schließlich soll das ja eine Belohnung für Deine Mühen sein. Da wäre es doch blöd, wenn Du jetzt nachlassen würdest..."

Nun fällt das breite Grinsen doch etwas in sich zusammen. Unsicher sieht sie ihre Mutter an: "Was soll ich mir denn bitte unter 'vorbildlich' vorstellen?" Was würden ihre Eltern von ihr verlangen? Wie anstrengend würde es werden, wenn sie wirklich alles machen müsse, damit die Eltern zufrieden sind?

Gehört zu diesem "vorbildlich" vielleicht sogar dazu, dass die Eltern erwarten, dass sie die Außenspange in der Uni tragen soll? Falls ja, würde Frankreich ein Traum bleiben.

"Davon kann keine Rede sein", schüttelt ihre Mutter den Kopf. "Ich habe Dir doch versprochen, dass ich NIE von Dir fordern würde, die Spange in der Schule zu tragen. Nein, es ist eigentlich ganz einfach: Trage die Spange einfach so weiter, wie Du sie in den letzten Wochen getragen hast und Du bist auf dem besten Weg."

Dann wiegt sie ihren Kopf: "Und wenn Du noch ein bisschen mehr versuchen könntest, den Bogen auch nachmittags zu tragen, wenn Du aus der Uni kommst, dann habe ich keine Klagen mehr. Meinst Du, dass Du das schaffen kannst?"

Als Antwort kehrt das breite Grinsen in das Gesicht ihrer Tochter zurück. "Also komm' ich doch noch nach Frankreich!"

Online silver-moon-2000

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Re: story - F bedeutet Headgear
« Reply #15 on: 13. June 2022, 16:58:43 PM »
Kapitel 16/16

Ein paar letzte Details seien noch verraten:

Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie von Großmutter und Mutter nur positive Dinge gehört hat und deshalb ihr Blick auf die neue High-School nicht objektiv ist, aber es gefällt ihr dort. Sie fühlt sich von Anfang an in Bedford richtig aufgehoben und es macht - auch dank der interessanten Extra-Kurse - deutlich mehr Spaß als die High School.



Einen Großteil ihrer Schulgefährten verliert sie ziemlich schnell aus den Augen. Wie befürchtet nimmt auch der Kontakt mit Mike, LaToya und Amy deutlich ab. Ein paar Mal treffen sie sich noch, doch da jeder von ihnen neue Freunde findet, wird es immer schwieriger, Zeit für ein Treffen zu finden. Und - so schade es auch ist - für alle Vier wird es im Lauf der Zeit immer weniger wichtig, sich mit den "alten Freunden" zu treffen. Jeder lebt nun sein eigenes Leben.



Der Vater schlägt vor, nicht ein ganzes Jahr lang bis zu den nächsten Sommerferien zu warten, um nach Frankreich zu fliegen, sondern den Urlaub in die Weihnachtsferien zu verschieben und Neujahr in Europa zu feiern. Das erregt so viel Interesse, dass tatsächlich direkt nach den Weihnachtsfeiertagen die Koffer gepackt werden.

Und weil das sowieso eine Zeit ist, in der alles zur Ruhe kommt und auch die elterlichen Betriebe eine Stufe zurückschalten, haben die Eltern beschlossen, dass man statt einer Woche auch zehn Tage in Frankreich bleiben könne. So kommen die Angestellten in den Genuss von ein paar bezahlten Extra-Urlaubstagen. Und so bleibt auch Zeit, dass die Eltern ihrer Tochter die Orte zeigen können, wo sie ihre Flitterwochen verbracht hatten.



Als es an der Zeit ist, die Koffer für den Urlaub zu packen, ist Rosa überhaupt nicht genervt, als sie von der Mutter daran erinnert wird, die Außenspange mitzunehmen. "Ja, Mama, keine Sorge, ich vergess' das Ding schon nicht."

Ja, sie muss ihre Außenspange noch tragen; das Behandlungsgerät hat seine Funktion noch nicht erfüllt. Inzwischen hat Rosalynn die Spange aber lange genug getragen, um mit Zuversicht sagen zu können: "Solange ich damit nicht in die Uni muss, kann ich mit dem Zaumzeug leben. SO schlimm ist es ja nicht! Solange ich damit nicht durch Menschenmassen laufen muss, komme ich klar."

Es hätte also die "Ermahnung" ihrer Mutter gar nicht gebraucht. Hätte man ihr aber zu Beginn ihrer Behandlung gesagt, dass sie freiwillig und bereitwillig ihre Außenspange mit nach Frankreich nehmen würde, Rosa hätte laut gelacht.

Und doch... Sie freut sich natürlich nicht darauf, im Urlaub das Headgear zu tragen. Sie kann sich durchaus schönere Dinge vorstellen. Zum Beispiel ein Urlaub OHNE Außenspange. Auf der anderen Seite stört das Ding nicht mehr genug, um auch nur darüber nachzudenken, deswegen einen Streit vom Zaun zu brechen.

Sicherlich spielt auch mit rein, dass ihr bewusst ist, dass sie ja gerade deswegen zusammen in den Urlaub nach Europa fliegen, weil das eine Belohnung dafür ist, dass sie ihre Außenspange so "vorbildlich" trägt. Und da sollte sie sich doch - gerade jetzt - von der besten Seite zeigen, oder nicht?

Ganz zu schweigen davon, dass sie den Metallbogen ohnehin nicht "rund um die Uhr" tragen muss. Im Hotelzimmer wird sie das Ding schon tragen, aber sie wird es garantiert nicht umschnallen, wenn sie mit ihren Eltern durch Paris schlendert. Und dann ist das doch aushaltbar!



Zumindest hatte sie sich das so vorgestellt. Aber am dritten Tag ihres Urlaubs hatte es plötzlich begonnen, zu schneien.

So richtig große, weiche, weiße Flocken sinken in Schwärmen langsam vom Himmel zu Boden. Die Eltern können ihre Tochter gerade noch dazu bringen, die Winterjacke anzuziehen, dann war sie schon aus dem Zimmer gerannt. Jetzt steht auf dem Innenhof des Hotels und starrt mit großen Augen in den Himmel.

Rosa wusste zwar - da sie aus dem südlichen Teil der USA kommen - dass ihre "Schnee-Erfahrungen" begrenzt sind, aber die Menge an weißen gefrorenen Wasser-Kristallen, die sie in Frankreich sieht, hatte sie dann doch erstaunt. Für Leute aus Kanada oder Alaska wäre das lachhaft, aber für das Mädchen aus den Südstaaten sind die acht Zentimeter Schnee eine kleine Sensation.

Und DIESE Art von Schneefall, das hatte sie ja noch nie gesehen. Sie kichert, als eine große Schneeflocke einem Schmetterling gleich auf ihrer Wange landet. Und ist ein wenig enttäuscht, als der "Schmetterling" dann umgehend schmilzt.

Als ein weiterer "Schmetterling" sich auf ihrer Nase niederlässt, greift sie entzückt danach. Und hält dann mit großen Augen inne, als ihre Hand an etwas hängenbleibt. Sie hatte so überstürzt das Hotelzimmer verlassen, dass sie ganz und gar vergessen hatte, dass sie nach wie vor ihre Außenspange trägt.

Plötzlich nervös, blickt Rosa sich um: Inzwischen ist sie nicht mehr alleine auf dem Innenhof. Ein paar andere Kinder und auch vereinzelt Erwachsene sind dazu gekommen und wollen den Schneefall direkt erleben. Anscheinend ist sie nicht die einzige, auf die die Flockenpracht eine seltsame Faszination ausübt.

Niemand sieht, wie Rosas Wangen noch roter werden, als sie es von der Kälte ohnehin schon sind. Soll sie ihre Spange rausnehmen? Nein, sie entscheidet sich dagegen: Erstens scheint ohnehin niemand von ihr Notiz zu nehmen; die Aufmerksamkeit aller ist auf die von oben kommenden Flocken gerichtet. Und wenn sie ihr Headgear rausnehmen würde und jemand sie dabei beobachten würde... DAS würde noch peinlicher sein...

Und dennoch ist sie froh, als nach ein paar Minuten ihre Eltern zu ihr stoßen und ihr einen Schal mitbringen. Erstens wird es langsam kalt und zweitens kann sie ihren Metallbogen darin verbergen. Um das Nackenpolster muss sie sich keine Gedanken machen, ihr Haar ist inzwischen lang genug geworden, das blaue Polster sicher zu verbergen. Aber jetzt ist auch der silberne Bogen verborgen.



Der Schnee fasziniert das Mädchen, doch von der damit einhergehenden Kälte ist sie deutlich weniger angetan. Und doch baut sie zwei Tage später den ersten Schneemann ihres Lebens.

Von dem Feuerwerk zu Silvester ist Rosa gleichzeitig fasziniert und verängstigt. Genauer gesagt nicht von dem Feuerwerk an sich, sondern von der Tatsache, dass anscheinend in Europa jedermann Raketen abschießen darf. Ihren Eltern geht es nicht anders: "Dass die sich nicht gegenseitig in die Luft jagen, ist ein Wunder!", findet auch der Vater. Sie entscheiden sich deswegen dagegen, während des Feuerwerks durch die Straßen von Paris zu ziehen. Das scheint ihnen dann doch zu riskant zu sein.

Dem - übrigens erstklassigen - Hotel, in dem sie wohnen, scheint die Tatsache durchaus bewusst zu sein. Die Gäste haben daher die Möglichkeit, ein begrenztes Sortiment an Feuerwerkskörpern vom Hotel zu erwerben und auf einem hoteleigenen Platz abzuschießen. Unter den wachsamen Augen von Hotel-Angestellten, die Acht geben, dass die Sicherheit gewahrt bleibt.

"Bist Du Dir sicher, dass Du das willst?", fragen die Eltern erstaunt, als sie ihr Hotelzimmer verlassen. "Wir werden da unten nicht alleine sein, weißt Du!"

"Ist schon klar", nickt Rosa mit rotem Kopf. "Ist aber auch nur heute. Zur Feier des Tages oder so. Ihr braucht nicht zu erwarten, dass ich das ab sofort immer mache..."

Und so kommt auch Rosa dazu, eigenhändig ein paar Raketen steigen zu lassen und dabei das Spektakel über den Dächern von Paris aus sicherem Abstand zu verfolgen. Die Explosionen der Feuerwerkskörper werden von dem silbernen Bogen um ihr Gesicht reflektiert. Sie weiß durchaus, dass einige neugierige Blicke an ihr hängenbleiben, aber heute... heute stört sie das nicht.



Rosa entscheidet sich, im nächsten Schuljahr Französisch lernen zu wollen. Hoffentlich wird ein Kurs angeboten. Und sie will auf jeden Fall wieder mal nach Frankreich!



Auch Dr. Coleman ist mit seiner Patientin zufrieden. Sie arbeite gut genug mit, lobt er sie. Auch wenn sie nicht jeden Tag die Tragezeiten schaffe - und Rosa ist so ehrlich, nicht zu schummeln - arbeite sie doch konsequent genug mit, dass er die Prognose, wie lange sie noch mit Außenspange leben müsse, bereits reduzieren konnte.

Dummerweise hat sie aber immer noch einige Monate vor sich. "Also wenn ich ungefähr ein Jahr 'ne Außenspange brauche, müssen meine Zähne wirklich verflixt viel schiefer gewesen sein als ich mir gedacht hatte..."

Doch glücklicherweise wird die restliche Zeit deutlich "problemfreier" vergehen, als sich Rosa in ihren Alpträumen ausgemalt hatte. Sie wird ihre Außenspange nie in der Uni tragen, aber Stück-um-Stück werden einige ihrer neuen Freunde davon erfahren.

ENDE - Keine Fortsetzung

Nochmal meine Bitte um Eure Meinung: War die Fortsetzung wert, gelesen zu werden oder kann/soll ich mir so etwas bei der nächsten story sparen?